Der Strom der Flüchtlinge aus Afrika wird kaum nachlassen Von Laszlo Trankovits, dpa
08.10.2013 16:21
Millionen Afrikaner fliehen vor Diktatoren, Elend und Krieg. Die
Flüchtlingslager auf dem Kontinent sind überfüllt. Schlepperbanden
schlagen Profit aus dem Traum vom Leben im reichen Europa. Experten
sagen voraus, dass ihre Zahl wachsen wird.
Kapstadt (dpa) - Die Flüchtlinge von Lampedusa werden kaum die
letzten gewesen sein, die den Wunsch nach einem besseren Dasein in
Europa mit dem Leben bezahlten. Vor allem aus Afrika wird nach
Ansicht von Experten der Drang in die gelobten Länder weiter
zunehmen. «Viele Somalier nehmen auch das Risiko zu sterben in Kauf,
um dem täglichen Kampf hier zu entkommen», meint der
Politikwissenschaftler Mohamed Sheikh Mohamud in Mogadischu.
«Ich habe für meine beiden Söhne 2000 Dollar (1470 Euro) für den
Weg nach Libyen bezahlt, sie brauchen nun 4000 Dollar für die
Bootsfahrt nach Italien», berichtet Abdisalan Omar in der Hauptstadt
Somalias, wo Bürgerkrieg und Terror der islamistischen
Al-Shabaab-Miliz Millionen Menschen in die Flucht getrieben haben -
im Land selbst oder in die Flüchtlingslager im benachbarten Kenia.
«Es wird nicht leicht für meine Söhne, aber hier mit all der Gewalt
und Arbeitslosigkeit hätten sie keine Chance.»
In vielen Ländern Afrikas verkaufen Menschen ihr Hab und Gut, um
kriminellen Schleuserbanden für ihre Verhältnisse horrende Summen für
den Weg nach Europa zu bezahlen. Auch die Somalierin Barlin Shadoor
(33) möchte alles tun, um dem Flüchtlingselend in Kenia zu entkommen.
«Auch wenn ich weiß, dass meine beiden Brüder gestorben sind, obwohl
sie 2500 Dollar gezahlt hatten, um über Libyen nach Italien zu
kommen», berichtet die Mutter von sechs Kindern in Nairobi.
Allein 2013 sollen nach UN-Schätzungen bisher 30 000 Menschen aus
Afrika und Nahost über Italien nach Europa gelangt sein. «Flüchtlinge
riskieren auf dem Weg Folter, Vergewaltigung, Verhaftung und
natürlich ihr Leben», sagt der Ostafrika-Direktor der Internationalen
Organisation für Migration (IOM), Ashraf El Nour, in Nairobi. Laut
der Migranten-Organisation Migreurop sollen in den vergangenen zwei
Jahrzehnten 20 000 Flüchtlinge auf dem Weg gestorben sein.
In Afrika selbst ist die jüngste Tragödie vor der Küste Italiens
kein Topthema. Die Afrikanische Union, in der Weltpolitik sonst nicht
gerade kleinlaut, äußerte sich nicht. «Sonst müsste sich Afrika
schmerzhaften Fragen über unsere Gesellschaften und Führer stellen»,
kommentierte Südafrikas «Business Day» bitter.
Die Menschen flüchten vor Bürgerkriegen, brutalen Regimen oder
weil sie als Minderheit verfolgt werden, wie vielerorts die Christen.
Die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR geht in ihrem jüngsten Bericht
von 13 Millionen Flüchtlingen innerhalb Afrikas aus. Tatsächlich ist
die Zahl eher höher. Allein aus Simbabwe, dem ruinierten Land des
Autokraten Robert Mugabe, sollen weit mehr als zwei Millionen
Menschen geflüchtet sein.
Oft ist es aber auch eine Flucht vor dem sozialen Elend. Zwar
schwärmen Weltbank und Internationaler Währungsfonds davon, dass die
Wachstumsraten Afrikas seit nunmehr zehn Jahren über dem weltweiten
Durchschnitt liegen. Afrikas Wirtschaft soll auch weiter kräftig
wachsen. Politiker aus Europa sprechen gerne von einem «Afrika im
Aufbruch». Aber viele Länder gehören trotz des Booms zu den ärmsten
der Welt. Noch immer leben laut Weltbank fast die Hälfte der
Afrikaner von weniger als 1,25 Dollar pro Tag.
Flüchtlinge kommen auch aus «Boomländern» wie Nigeria oder
Äthiopien. Denn der auf Rohstoffexporten beruhende Geldsegen
bereichert vor allem internationale Konzerne und kleine nationale
Eliten. Die wiederum schaffen das Geld oft aus dem Land. Noch
schlimmer ist die illegale Kapitalflucht: Auf 50 Milliarden Dollar
bezifferte jüngst der ehemalige Präsident Südafrikas, Thabo Mbeki,
den jährlichen Kapitalexport aus Afrika - Geld, das angesichts von
Massenarmut, miserabler Infrastruktur, schlechten Schulen und maroden
Krankenhäusern dringend auf dem Kontinent benötigt würde.
Vieles spricht dafür, dass Hunderte Millionen Afrikaner auch in
Zukunft bitterarm bleiben werden. Nach wie vor produziert Afrika kaum
Waren für den Export, gibt es kaum regionalen Handel. Einzig die
Korruption und die Misswirtschaft florieren. Die Landwirtschaft liegt
mangels Technik, Ausbildung und politischem Willen vielerorts
darnieder. Viele Länder sind von Lebensmittelimporten und
internationaler Hilfe abhängig. Dabei leben mehr als die Hälfte der
Afrikaner von Scholle und Vieh, allerdings in völlig ineffizienten
Kleinstbetrieben.
Auch wegen der ungebrochenen Bevölkerungsexplosion steigt
vielerorts die Jugendarbeitslosigkeit rasant an - idealer Nährboden
für Islamisten, die mit arabischen Geldern in West- und Ostafrika
fleißig Anhänger rekrutieren. Die jüngsten Terroranschläge in Niger
ia
oder Kenia belegen die fragile politische Lage auf dem Kontinent.
Aber nicht einmal eine Stabilisierung würde die Fluchtbewegung nach
Europa stoppen. «Auch wenn es in manchen Ländern wirtschaftlich
aufwärts geht, nimmt die Zahl der Auswanderer zu, weil manche dann
die Mittel haben, Schleuserbanden zu bezahlen», berichtet Ashraf El
Nour von der Internationalen Organisation für Migration.