EU-Spitzen wollen Handelspakt mit USA retten Von Christian Böhmer, dpa
13.02.2014 13:45
Vor den Europawahlen im Mai ist der geplante Handelspakt mit den
USA heftig umstritten. Die EU-Kommission geht inzwischen auf ihre
Kritiker zu. Auch in Washington sind noch Hürden zu überwinden.
Brüssel (dpa) - Alle hoffen auf Obama. Europas Spitzen erwarten
vom Gipfeltreffen mit dem US-Präsidenten am 26. März neuen
politischen Schwung für die Verhandlungen für den geplanten
Freihandelspakt.
Das Einreißen von Handelsbarrieren soll den mehr als 800 Millionen
Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks mehr Wohlstand und Wachstum
bringen. Dabei geht es nicht nur um den Wegfall von Einführzöllen,
sondern auch um das Festlegen von Produktstandards, beispielsweise
bei Autos. Die Dimensionen sind gigantisch. Etwa 31 Prozent des
Welthandels entfallen auf die USA und die EU, außerdem rund die
Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung.
Das Verhältnis zwischen den beiden Schwergewichten ist allerdings
angekratzt. Die Spähaffäre um den US-Geheimdienst NSA sorgte für
Misstrauen und belastete die Gespräche zur Bildung der größten
Freihandelszone der Welt seit ihrem Start im vergangenen Jahr. Die
Europäer setzen deshalb auch auf ein Rahmenabkommen mit Washington
zum privaten Datenschutz, das schon in diesem Sommer abgeschlossen
werden könnte. «Wir brauchen neues Vertrauen», meint ein EU-Diplomat.
Das Spitzentreffen zwischen EU-Kommissionschef José Manuel
Barroso, EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy und Barack Obama Ende
kommenden Monats in Brüssel könnte die politische Großwetterlage
verbessern, lautet die Vorhersage. Die geplante Handels- und
Investitionspartnerschaft (TTIP) wird aber auch nach der
Präsidentenvisite umstritten bleiben.
Umweltgruppen und Nichtregierungsorganisationen machen Front gegen
das Vorhaben. Sie befürchten, dass europäische Standards fallen und
Hormonfleisch oder geklonte Produkte nach Europa gelangen könnten.
Die Kommission wies dies mehrfach zurück. In ihrem Wahlkampfprogramm
zur Europawahl(22. bis 25. Mai) fordern die deutschen Grünen, die
Freihandelsverhandlungen auszusetzen und auf einer neuen Basis neu zu
starten.
Die EU-Kommission, die für die Mitgliedstaaten die Verhandlungen
führt, geht inzwischen auf Signale aus Parlamenten und der
Öffentlichkeit ein. «Wir informieren nach jeder Verhandlungsrunde die
Zivilgesellschaft», sagt der Vizechef des engsten Mitarbeiterstabes
von Handelskommissar Karel De Gucht, Frank Hoffmeister. Die Behörde
richtete auch ein Beratergremium mit 14 Mitgliedern aus Wirtschaft,
Gewerkschaften oder Verbraucherschutzorganisationen ein.
EU-Chefunterhändler Ignacio Garcia Bercero liefert der Gruppe
detaillierte Informationen - so die offizielle Ansage zum Start im
Januar. «Die Beratergruppe ist sehr heterogen (uneinheitlich)
zusammengesetzt», resümiert der Gewerkschafter Ulrich Eckelmann, der
mit am Tisch sitzt. Er moniert aber: «Ich habe noch keine
inhaltlichen Themen zu Gesicht bekommen.»
Kommissar De Gucht reagiert zunehmend gereizt auf die öffentliche
Debatte. Schrankenlose Offenheit sei «weder machbar noch
wünschenswert», meinte der liberale Politiker unlängst. Beim
besonders heiß umkämpften Verhandlungsthema Investitionsschutz machte
der Belgier jedoch eine spektakuläre Kehrtwende und setzte bis zum
Sommer eine öffentliche Befragung an. Bis dahin sind die
Handelsverhandlungen in diesem Bereich auf Eis gelegt.
Beim Investitionsschutz geht es darum, wie ausländische Investoren
vor Verstaatlichungen und anderer unfairer Behandlung im Gastland
bewahrt werden können. Das Thema ist kompliziert, denn verbunden
damit ist ein Verfahren, dass vor allem Großkonzernen erlaubt,
Staaten an nicht-öffentlichen Schiedsgerichten zu verklagen.
Der handelspolitische Sprecher der Sozialdemokraten im
Europaparlament, Bernd Lange, fordert, komplett
auf diesen Investor-Staat-Investorenschutz (ISDS) zu verzichten: «Die
Sozialdemokraten werden ISDS nicht zustimmen», kündigt der
Parlamentarier an. Er erinnert an den Versuch des Energiekonzerns
Vattenfall, Deutschland wegen des Atomausstiegs auf 3,7 Milliarden
Euro Schadenersatz zu verklagen. Stattdessen solle die EU-Behörde dem
Beispiel Australiens folgen, dessen Regierung in einem bilateralen
Handelsabkommen mit den USA einen solchen Mechanismus verweigert
habe.
Washington hielt sich mit Kritik an Verzögerungen in Europa
deutlich zurück. Die Amerikaner wissen, dass zuhause noch viele
Hürden zu überwinden sind. Zwar hat Obamas Regierung das Mandat, die
Verhandlungen zu führen. Aber einen Freihandelsvertrag in Kraft
setzen kann nur der Kongress. Ein Gesetz, das die Mitsprache der
Parlamentarier bei internationalen Handelsabkommen einschränkt, ist
2007 ausgelaufen. Obamas Bitten, es zu verlängern, stoßen im
Washingtoner Kapitol bislang auf taube Ohren. Eine Mehrheit im
Kongress für TTIP ist alles andere als sicher.
Auch das Europaparlament muss dem Handelsdeal am Ende noch
zustimmen. In Brüssel werden offiziellen Ankündigungen, wonach TTIP
schon im nächsten Jahr abgeschlossen werden könnte, skeptisch
gesehen. Und 2016 wird es ganz kritisch: Dann wird in den USA ein
neuer Präsident gewählt.