Alternativlos oder zu gefährlich? - Um Glyphosat wird hitzig gerungen Von Annett Stein, dpa
24.10.2017 06:15
Manche sehen in Glyphosat ein gefährliches Gift, andere eine eher
harmlose, unverzichtbare Hilfe für die Landwirtschaft. Einfache
Antworten scheinen in der Debatte weit entfernt - doch es gibt sie.
Berlin (dpa) - Soll Glyphosat auch in den kommenden zehn Jahren in
der Europäischen Union eingesetzt werden dürfen oder nicht? Darum
toben derzeit heftige Debatten, oft wenig sachlich, dafür mit viel
Polemik und gegenseitigen Anschuldigungen. Ein EU-Ausschuss berät am
25. Oktober erneut über eine weitere Glyphosat-Zulassung - eventuell
gibt es dann schon die bis Mitte Dezember fällige Abstimmung. Es geht
um einen Milliardenmarkt - und um die Gesundheit von Menschen,
Tieren, Ökosystemen.
Warum wird gerade über Glyphosat besonders heftig gestritten?
«Glyphosat ist ein Symbol», erklärt Horst-Henning Steinmann von der
Universität Göttingen. «Es steht als weltweit dominierendes
Pflanzenschutzmittel für eine Form der Landwirtschaft, die viele
Kritiker hat.» Ein weiterer Faktor sei, dass es von Konzernen wie
Monsanto in vielen Ländern im Paket mit gentechnisch veränderten
Pflanzen angeboten werde. «Damit steht Glyphosat indirekt auch für
Gentechnik.» Hinzu komme die Angst vor einem Präzedenzfall: «Eine
Sorge von Herstellern und Landwirten ist, dass ein Glyphosat-Stopp
nur die erste Entscheidung wäre, die viele weitere nach sich ziehen
könnte.»
Gibt es bereits Verbote?
Ja. El Salvador, Bermuda und Sri Lanka haben den Einsatz von
Glyphosat verboten, so Thoralf Küchler, Sprecher der
Arbeitsgemeinschaft Glyphosat (AGG), einem Zusammenschluss von sieben
Glyphosat-produzierenden Unternehmen. In den Niederlanden gibt es
demnach ein Verbot für kommunalen Gebrauch, also die Verwendung auf
öffentlichen Straßen und in Gemeinden. Ausgenommen sind Bahngleise
und Fluglandebahnen.
Glyphosat ist seit 40 Jahren im Einsatz. Wie entstanden die Bedenken?
«Glyphosat ist auch deshalb so erfolgreich, weil es lange als
unproblematisch galt», erklärt Silvia Pieper vom Umweltbundesamt
(UBA). Glyphosat werde vergleichsweise selten im Grundwasser
nachgewiesen, weil es an Bodenpartikel binde. Allerdings seien
die Abbauzeiten im Boden recht lang: Es dauere mehr als ein Jahr, bis
90 Prozent der Substanz abgebaut seien. In Sedimenten könne sich die
Substanz besonders lange halten.
Die direkte Giftigkeit für Tiere wurde in Studien meist als relativ
gering eingestuft, da das gehemmte Enzym EPSPS nur bei Pflanzen,
Pilzen und Mikroorganismen vorkommt. Einige Studien unter anderem an
Ratten und Mäusen allerdings legten nahe, dass Glyphosat in hohen
Dosen krebserregend sein könnte.
Die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC), eine Einrichtung
der Weltgesundheitsorganisation (WHO), stufte das Herbizid auf Basis
dieser Ergebnisse im März 2015 als «wahrscheinlich krebserregend» f
ür
den Menschen ein - gerade als in Europa die Verlängerung der
Zulassung anstand. Andere Agenturen wie die Europäische Behörde für
Lebensmittelsicherheit (EFSA) und das deutsche Bundesinstitut für
Risikobewertung (BfR) sehen hingegen kein von Glyphosat ausgehendes
Risiko.
Wie kommt es zu diesem Widerspruch?
Der Widerspruch ist nicht wirklich einer. Die IARC beurteilte die
Krebsgefahr, also die generelle Möglichkeit, dass Glyphosat Krebs
verursacht. In die Bewertung der anderen Agenturen hingegen floss das
Risiko als Faktor ein. Die EFSA bewertet das Krebsrisiko bei den
Mengen, die ein Mensch üblicherweise etwa über Lebensmittel aufnimmt,
als vernachlässigbar.
Wie sieht es bei Menschen aus, die ständig mit Glyphosat umgehen?
Berichte über einen vermuteten Zusammenhang zwischen Glyphosat und
Krebs- oder sonstigen Erkrankungen gibt es seit Jahren, etwa bei
Bauern aus Sri Lanka und Argentinien. Gesicherte Erkenntnisse fehlen
bisher. In den betroffenen Ländern werden teilweise
Pflanzenschutzwirkstoffe und -mengen eingesetzt, die in Europa nicht
zugelassen sind.
Warum stützen EU-Behörden ihre Einschätzung auf Studien der
Hersteller, die für die Öffentlichkeit nicht einsehbar sind?
«Es gilt das Prinzip, dass Antragsteller die Studien finanzieren
müssen, um die Unbedenklichkeit ihrer Substanz nachzuweisen», erklärt
UBA-Expertin Pieper. Für die Öffentlichkeit geheim blieben die
Studienberichte wohl aus Wettbewerbsgründen. «Viele der
durchgeführten Studien sind recht aufwendig und daher auch teuer, die
Daten sind für die Antragsteller ein kostbares Gut», sagt Pieper.
«Auch wir würden allerdings eine bessere Zugänglichkeit dieser Daten
befürworten.»
Würde ein Auslaufen der Glyphosat-Genehmigung der Umwelt nützen?
Es existierten Wirkstoffe mit problematischeren Risikoprofilen, die
in geringeren Mengen eingesetzt würden, sagt Pieper. Mit einem
Glyphosat-Stopp kämen möglicherweise andere Substanzen auf die
Zulassungslisten, fürchtet die UBA-Expertin. «Statt des Verbots einer
einzelnen Substanz wäre eine generelle Reduzierung des
Herbizideinsatzes sinnvoll.»
Glyphosat könne vielleicht nicht leicht, aber doch durch andere
Wirkstoffe ersetzt werden. «Deshalb wäre ein schlichter Ersatz keine
Lösung», betont Pieper. «Es geht darum, die Menge aller eingesetzten
Herbizide und anderer Pflanzenschutzmittel deutlich zu verringern und
ihre Auswirkungen zu kompensieren, indem ökologische
Ausgleichsflächen angelegt werden.»
Auch der Göttinger Agrar-Experte Steinmann sagt: «Glyphosat ist schon
ein modernes Herbizid, dessen Umweltwirkung vergleichsweise günstig
zu beurteilen ist. Würde es einfach nur durch ältere Wirkstoffe
ersetzt, wäre für die Umwelt nichts gewonnen.»