Menschenrechtskommissarin kritisiert geplantes Abschiebegesetz
22.05.2019 18:14
Nicht jeder, der Deutschland eigentlich verlassen müsste, geht auch
wieder. Die Bundesregierung will deshalb schärfere
Gesetzesregelungen. Vorsicht, warnt die Menschenrechtskommissarin
beim Europarat: Ihr gehen die Pläne zu weit.
Straßburg/Berlin (dpa) - Die Menschenrechtskommissarin des
Europarates rügt Teile des sogenannten «Geordnete-Rückkehr-Gesetzes
»,
das Abschiebungen in Deutschland erleichtern und beschleunigen soll.
Sie sehe es mit Besorgnis, dass Informationen über Abschiebungen
künftig als «Staatsgeheimnisse» eingestuft werden könnten, erklär
te
Dunja Mijatovic in einem Brief an die Vorsitzende des
Innenausschusses im Bundestag, Andrea Lindholz (CSU). Das Schreiben
liegt der Deutschen Presse-Agentur vor. Der Gesetzentwurf von
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wird derzeit im Bundestag
beraten.
Nichtregierungs- und zivilen Organisationen könnte nach Einschätzung
von Mijatovic eine rechtliche Verfolgung wegen Beihilfe drohen,
sollten sie Details wie den Zeitpunkt der geplanten Rückführung
weitergeben. Die aktuelle Formulierung des Gesetzesentwurfs habe das
Potenzial, Tätigkeiten solcher Gruppierungen zu kriminalisieren. Sie
rief den Bundestag dazu auf, von jeglichen Schritten abzusehen, die
Hilfsorganisationen für Migranten stigmatisieren könnten.
Die Menschenrechtskommissarin rügte außerdem, dass durch das Gesetz
Migranten vor ihrer Rückführung leichter in Abschiebehaft genommen
werden könnten. Es gebe nur wenige Hinweise, dass erweiterte
Möglichkeiten für Abschiebehaft zu mehr erfolgreichen Ausweisungen
führten, erklärte Mijatovic. In Deutschland habe sich die Zahl der
Migranten in Abschiebehaft zwischen 2015 und 2017 verdoppelt, die
Zahl der Abschiebungen sei aber gleich geblieben, führte sie an.
Mijatovic bemängelte auch, dass Betroffene über Tag und Uhrzeit ihrer
Abschiebung im Dunkeln gelassen werden sollen.
Die migrations- und integrationspolitische Sprecherin der Grünen im
Bundestag, Filiz Polat, erklärte, ihre Fraktion teile die Kritik
ausdrücklich. «Allen voran Bundesinnenminister Horst Seehofer sollte
sich diese deutlichen Worte aufmerksam durchlesen. Dieses Gesetz ist
ein Katalog der Entrechtung und Inhumanität und rechtsstaatlich nicht
zu verantworten.»
Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke,
reagierte ähnlich: «Dass die Menschenrechtskommissarin offen Kritik
am geplanten Abschiebegesetz äußert, zeigt, wie sehr die
Abschiebungspolitik in Deutschland inzwischen getrieben ist von
inhumanen Zielvorgaben und wie wenig dabei der Grundsatz der Wahrung
der Menschenrechte noch gilt.»
Die Ausschussvorsitzende Lindholz hielt dagegen: «Zentrales Ziel des
Geordnete-Rückkehr-Gesetzes ist es, dass Menschen ohne Schutzanspruch
ihrer Ausreisepflicht nachkommen und zwar freiwillig», sagte sie der
dpa. «Praxisnahe Regelungen für Ausreisegewahrsam und Abschiebehaft
sind notwendig, da fast jede zweite Abschiebung heute scheitert, weil
der Betroffene nicht auffindbar ist», betonte Lindholz. «Die
Neuregelung der Geheimhaltungspflichten für Abschiebetermine gilt
explizit für Amtsträger und ist im Grunde eine Klarstellung der
geltenden Rechtslage. Natürlich muss der Staat sein Recht
durchsetzen, und wer den Vollzug mutwillig behindert kann dafür zur
Rechenschaft gezogen werden.»
Die Menschenrechtskommissarin hat die Aufgabe, die 47 Mitgliedstaaten
des Europarats bei der Einhaltung der Menschenrechte zu unterstützen
und mögliche Missstände anzuprangern. Der 1949 gegründeten
Staatengemeinschaft gehören neben den 28 EU-Ländern unter anderem
auch die Türkei und Russland an.