Endspiel für die Maut Von Sascha Meyer und Alkimos Sartoros, dpa
17.06.2019 05:30
Von der Pkw-Maut spüren Autofahrer auf deutschen Straßen bisher
nichts. Sie steht im Gesetz, wird aber nicht kassiert. Da sind noch
rechtliche Unsicherheiten, und die werden jetzt endgültig geklärt.
Berlin/Luxemburg (dpa) - Es ist das große Endspiel. Nach jahrelangen
politischen Schlachten entscheidet sich das Schicksal der Pkw-Maut in
Deutschland - nun aber wirklich. An diesem Dienstag verkündet der
Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil, auf das Mautgegner wie
Mautfans schon gespannt warten. Denn es bringt endlich Klarheit in
einem zentralen Streitpunkt: Ist die Nutzungsgebühr mit eingebauter
Komplett-Entlastung nur für Inländer nun europarechtlich korrekt oder
doch eine verbotene Benachteiligung von Autofahrern aus dem Ausland?
Für Verkehrsminister Andreas Scheuer ist es die letzte juristische
Hürde, um das Prestigeprojekt seiner CSU auf die Straße zu bringen.
Dabei ist es schon keine Kleinigkeit, dass das Vorhaben überhaupt so
weit gekommen ist. Scheuer (44) war noch Schüler, da entdeckten die
Christsozialen die Autobahngebühr als Wahlkampfhit. Fahrer aus dem
Ausland sollten für 60 Mark Plaketten an der Grenze kaufen, schlug
der CSU-Verkehrsexperte Dionys Jobst vor - und Inländer im Postamt,
denen dann aber 60 Mark Kfz-Steuer erspart bleiben sollten. Das war
1984. Gut 30 Jahre später schaffte es die Idee aus den Bierzelten ins
Gesetzblatt. Scheuers Vorgänger, Alexander Dobrindt (CSU), verwandte
große Teile seiner Ministerzeit darauf, das heikle Projekt durch die
Klippen zu steuern und löste sogar Bedenken der EU-Kommission auf.
Heraus gekommen ist eine vertrackte Konstruktion, mit der die Maut
aber überhaupt erst auf die Agenda der schwarz-roten Koalition kommen
konnte: Eine Gebühr, die alle zahlen, die aber unterm Strich nur
Fahrer aus dem Ausland extra belastet, ohne diese benachteiligen zu
dürfen. Nicht zuletzt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) pocht darauf,
dass kein Inländer draufzahlt. Denn da war ja ihr Satz aus dem
TV-Wahlkampfduell 2013: «Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben.» Für
Inländer - und nur für sie - soll die Nutzungsgebühr daher voll und
ganz durch eine niedrigere Kfz-Steuer ausgeglichen werden.
Genau über diesen Mechanismus urteilt nun das oberste EU-Gericht in
Luxemburg. Es geht um eine Klage Österreichs gegen Deutschland und
den Vorwurf der Diskriminierung anderer Staatsangehöriger. Dies sieht
jedoch ein wichtiger Gutachter beim EuGH keineswegs so und empfahl im
Februar, die Klage abzuweisen. Seine Argumentation: Fahrer aus dem
Ausland würden in der Kombination Maut plus Kfz-Steuer, die sie in
Deutschland nicht zahlen müssen, insgesamt immer geringer belastet
als Inländer. Ob die EU-Richter dem folgen, muss sich am Dienstag
zeigen. Sie tun das oft, aber eben auch nicht jedes Mal.
Das Urteil des EuGH ist der letzte Schritt in der juristischen
Schlacht. Die Richter orientieren sich dabei üblicherweise sehr eng
am vorgelegten Klagetext und geltendem EU-Recht. Konkret hieße dies:
Geben sie grünes Licht, kann die Maut endgültig kommen. Verstößt si
e
aus ihrer Sicht gegen EU-Recht, müsste Deutschland einen ganz neuen
Anlauf starten. Dies wäre aber politisch extrem unwahrscheinlich.
Der Richterspruch ist also wegweisend. Und wird auch zeigen, ob die
Bundesregierung womöglich mit zu hohem Risiko gespielt hat. Sollte
die Maut auf den letzten Metern doch noch scheitern, stünde nicht nur
die CSU vor einem Scherbenhaufen. Auf den Bund käme kostspieliger
Ärger zu. Denn trotz vieler Warnungen sind noch vor der endgültigen
Rechtssicherheit Fakten geschaffen worden. Mehr als 40 Millionen Euro
wurden schon ausgegeben, ein Großteil für Gutachten und Beratung. Vor
allem gingen aber die Zuschläge an private Betreiber heraus, die sich
künftig um die Erhebung und die Kontrolle der Maut kümmern sollen.
Platzt die ganze Sache, drohen dem Bund Entschädigungsansprüche.
Mautminister Scheuer gibt sich aber zuversichtlich, den Segen des
EuGH zu bekommen - und will dann Tempo machen. Denn inzwischen gibt
es auch ein Startdatum. Ab Oktober 2020 soll auf Autobahnen und
Bundesstraßen kassiert werden, für Fahrer aus dem Ausland nur auf
Autobahnen. Und dafür sind noch weitere Vorbereitungen nötig.
Läuft die Maut dann, steht der letzte entscheidende Beweis aus:
Bringt die Großoperation wirklich nennenswerte Summen für das
Straßennetz in die Kasse? Das Ministerium verspricht unterm Strich
500 Millionen Euro extra im Jahr. Nicht nur die Grünen bezweifeln das
aber und verweisen auf 17 Jahre alte Daten in der Prognose, wie
Verkehrsexperte Stephan Kühn monierte: «Solide Berechnungen sehen
anders aus.»