Vertrag von Lissabon: Wichtigste Änderungen

Mehr Handlungsfähigkeit durch institutionelle Reformen

Die Verabschiedung des "Vertrages von Lissabon" hatte zum Ziel, eine jahrelange Reformdebatte in der Europäischen Union abzuschließen. Nachdem die zuvor geplante Verfassung in Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden gescheitert war, wurden unter deutscher Ratspräsidentschaft 2007 die Weichen in Richtung Reformvertrag gestellt. Anfänglich sollte dieser bereits zu den Europawahlen im Juni 2009 angewendet werden. Allerdings verzögerte sich das Inkrafttreten bis zum 01. Dezember 2009. Im Juni 2008 wurde der Vertrag von der irischen Bevölkerung in einem Referendum zunächst abgelehnt. Erst eine Wiederholung der Volksbefragung brachte im Oktober 2009 die Zustimmung. Auch Polen und die Tschechische Republik verweigerten lange ihre Zustimmung.

Grundrechtecharta ist kein Teil der Verfassung

Der Vertrag von Lissabon ersetzt den im Jahr 2000 unterzeichneten Vertrag von Nizza und soll die politische Handlungsfähigkeit, die Transparenz ebenso wie den demokratischen Charakter der 28 Länder umfassenden Union verbessern. Auf die Nennung von staatsähnlichen Symbolen wird verzichtet. Der Verfassungsvertrag hatte den Europatag, die Hymne, die Währung sowie das Motto der EU explizit als „Symbole" der Union bezeichnet. Auch die Grundrechtecharta ist kein Teil des neuen EU-Vertrags. Allerdings wird sie durch einen Verweis verbindlich. Ausnahmeregelungen gelten außer für Großbritannien auch für Polen. Zudem strebt die tschechische Regierung ebenfalls Sonderregelungen für ihr Land an.

Neuer Name und Rechtspersönlichkeit

Wie bisher basiert die EU auf zwei Verträgen. Das Grundsätzliche steht im „Vertrag über die Europäische Union" (EU-Vertrag). Weitere Bestimmungen enthält der „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union", der bisher „Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft" hieß.

Die Unterscheidung zwischen Europäischer Union und Europäischer Gemeinschaft entfällt - es gibt nur noch die Europäische Union. Sie hat Rechtspersönlichkeit, darf also zum Beispiel internationale Verträge abschließen.

 

Geänderte Zusammensetzung der Institutionen

Europäisches Parlament: Die Zahl der Parlamentsabgeordneten ist auf 750 begrenzt worden. Es wird auch dann keine zusätzlichen Sitze geben, wenn weitere Länder der EU beitreten. Allerdings wird der Posten des Parlamentspräsidenten nicht mitgezählt, dieser hat auch kein Stimmrecht mehr. Der zusätzliche Parlamentssitz wird Italien zugesprochen. Kein Land erhält mehr als 96 Mandate - Deutschland entsendet damit drei Abgeordnete weniger nach Brüssel und Straßburg.

Europäischer Rat: Vor dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon wechselte der Vorsitz im Europäischen Rat halbjährlich zwischen den nationalen Regierungen. Mittlerweile wird das Gremium der europäischen Staats- und Regierungschefs dauerhaft von einem Präsidenten geleitet. Er wird für zweieinhalb Jahre gewählt und darf sich ein Mal zur Wiederwahl stellen. Die Entscheidung wird mit qualifizierter Mehrheit getroffen. Zum ersten Präsidenten des Europäischen Rates wurde der Belgier Herman Van Rompuy bestimmt.

Rat für Auswärtige Angelegenheiten: Einen EU-Außenminister gibt es auch nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon offiziell nicht. Der Vertrag legt fest, dass der EU-Außenminister offiziell "Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik" genannt wird. In dieser Position sind die Funktionen des EU-Außenbeauftragten und des EU-Außenkommissars gebündelt. Mit dem neuen Amt bekommt die EU-Außenpolitik erstmals ein einheitliches Gesicht. Zur ersten "Hohen Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik" wurde die Britin Catherine Ashton bestimmt.

Weitere Räte: In den Räten, in denen die Fachminister aller EU-Staaten zusammen kommen, gilt auch nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon das Rotationsprinzip. Die Einzelheiten dieses Verfahrens werden vom Europäischen Rat beschlossen.

Kommission: die Europäische Kommission wird kleiner. Ab 1. November 2014 sollen nur noch zwei von drei Mitgliedstaaten einen Kommissar stellen dürfen. Dazu wird ein Rotationsverfahren eingeführt. Dieses soll sicherstellen, dass weiterhin alle EU-Mitgliedsländer repräsentiert sind.

 

Änderungen bei der Gesetzgebung

Mitentscheidungsverfahren: Das Mitentscheidungsverfahren ist zur Regel geworden. Parlament und Kommission wirken, bis auf einige Ausnahmen, gleichberechtigt an neuen Richtlinien und Verordnungen mit. Anders als in der Verfassung geplant, werden Rechtsakte der EU nicht als „Europäische Gesetze" bezeichnet, sondern heißen weiterhin Richtlinie oder Verordnung.

Häufiger Mehrheitsentscheidungen im Rat: Im Rat der Europäischen Union muss nur noch selten einstimmig abgestimmt werden. Das Centrum für Europäische Politik hat errechnet, das mittlerweile in 181 Politikbereichen mit qualifizierter Mehrheit abgestimmt wird. Vor dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon zählten die Wissenschaftler 137 Bereiche.

Qualifizierte Mehrheit: Das momentan geltende System der Stimmengewichtung bei Ratsentscheidungen wird abgeschafft. Derzeit hat jedes Land -abhängig von der Einwohnerzahl- zwischen 3 (Malta) und 29 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien) Stimmen. Künftig gilt die „Doppelte Mehrheit". Jedes Ratsmitglied hat eine Stimme, zugleich wird aber die Zahl der Einwohner des von ihm vertretenen Landes berücksichtigt. Um die qualifizierte Mehrheit zu erreichen ist es nötig, dass 55% aller Ratsmitglieder für eine Regelung stimmen, die gleichzeitig 65% der Bevölkerung repräsentieren. Die Einführung des Verfahrens war umstritten. Einige EU-Mitgliedsländer setzten lange Übergangsfristen durch. Zwar gilt das Verfahren ab 2014, jedoch kann ein Ratsmitglied bis 2017 verlangen, dass die alten Regeln weiter angewendet werden. Wie sich die Neuregelung auswirkt, können Sie mit dem EU-Entscheidungsrechner von eu-info.de erkennen.

 

Aufgabenteilung zwischen Mitgliedstaaten und Union

Deutlichere Abgrenzung: Die Verteilung der Zuständigkeiten für die Gesetzgebung in der Union ist klarer geregelt worden. Mittlerweile wird zwischen „ausschließlicher", „geteilter" und „unterstützender" Gesetzgebungskompetenz der EU unterschieden. Allerdings gehören nur wenige Bereiche zur ausschließlichen Zuständigkeit der Union: Zollunion, Wettbewerbsregeln im Binnenmarkt, Währungspolitik für die Euro-Zone, Naturschutz in den Meeren sowie die gemeinsame Handelspolitik. Die Union darf unabhängig über internationale Verträge verhandeln, wenn ihr eigener Zuständigkeitsbereich betroffen ist oder die Mitgliedstaaten sie damit beauftragen.

Subsidiarität durch Einbeziehung nationaler Parlamente: Grundsätzlich soll die Europäische Union erst dann tätig werden, wenn eine andere politische Ebene (Nationalstaat, Bundesland, Region) dies nicht eben so gut regeln könnte. Dieser Subsidiaritätsgrundsatz gilt schon lange. Der Vertrag führt aber neue Überprüfungsmechanismen ein. Die nationalen Parlamente sollen über die Ausübung der EU-Gesetzgebung wachen. Sie werden frühzeitig informiert und haben verbesserte Kontrollmöglichkeiten. Allerdings müssen sie den Rat oder das Europäische Parlament überzeugen, um europäische Gesetzgebung tatsächlich aufhalten zu können. Wenn das nicht gelingt, steht ihnen der Weg zum Europäischen Gerichtshof offen.

 

Weitere Bestimmungen

EU-weites Bürgerbegehren: Eine Million Bürger aus "einer erheblichen Zahl von Mitgliedstaaten" (Art. 8b des EU-Vertrages) können die Kommission auffordern, einen Gesetzesvorschlag zu einem bestimmten Thema auszuarbeiten. Damit erhalten die Bürgerinnen und Bürger der EU zum ersten Mal die Möglichkeit, unmittelbar die europäische Politik zu beeinflussen.

Austrittsklausel: Der Austritt eines Landes aus der EU wurde vertraglich geregelt. In Artikel 49a des EU-Vertrags heißt es: „Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten".

 

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