Für Kontrollen an deutsch-tschechischer Grenze sind die Tage gezählt Von Jörg Schurig, dpa
29.11.2007 11:01
Schmilka/Hrensko (dpa) - Nein, seinen Namen will der tschechische
Grenzbeamte nicht nennen. Als dürfte nur er Fragen stellen. «Nennen
Sie mich junger Mann», sagt der dunkelblau Uniformierte und lacht.
Langsam rollt ein Auto an den Grenzübergang Hrensko/Schmilka in der
Sächsischen Schweiz heran. Der Fahrer kurbelt die Scheibe herunter,
um eine möglichst freundliche Miene bemüht. Überall auf der Welt
läuft an Grenzübergängen das gleiche Spielchen ab. Wer ein- oder
ausreisen möchte, scheint stets milde gestimmt - zumindest beim
Grenzübertritt.
Ein kurzer Blick in den Ausweis genügt, dann geht die Fahrt in
Richtung Deutschland weiter. An dieser Stelle wurden deutsche
Einreise und tschechische Ausreise schon vor Jahren zusammengelegt.
Die Beamten sitzen gemeinsam unter einem Dach. Spätestens seit dem
EU-Beitritt Tschechiens am 1. Mai 2004 wird Einheit demonstriert.
Doch lange bleibt der Posten nicht mehr bestehen. Auch an einer der
ältesten noch bestehenden Grenzen in Europa - es gibt sie seit 1459 -
fallen mit der beschlossenen Erweiterung des Schengen-Abkommens am
21. Dezember die Grenzkontrollen weg.
«Das ist traurig, aber so ist Leben», meint der junge Tscheche in
fast perfektem Deutsch. Seinen Job sieht er trotzdem nicht in Gefahr.
«Wir haben kein Problem mit Arbeit.» Zwischen 4000 und 5000
tschechische Grenzer würden in Rente gehen. Für den Rest finde sich
etwas. «Die Kollegen werden aufgeteilt, einer geht zur Landespolizei,
ein anderer wird Dorfpolizist.» Doch schon jetzt - einen knappen
Monat vor dem Finale - zieht er Bilanz: «Hier war die Grenze immer
sicher. Jetzt feiern wir Schengen», ruft er in die Runde.
Die letzten Worte sind an Mario Brauns und Annett Kluge gerichtet.
Die beiden Bundespolizisten haben auf Streife kurz vorbeigeschaut.
Denn heute steht die Abschiedsparty an. Die Tschechen haben ihre
deutschen Kollegen am Abend in ein Restaurant nach Hrensko
eingeladen. Der kleine Ort ist nicht nur Basislager für Wanderungen
in die romantische Felsenwelt der Böhmischen Schweiz, sondern auch
ein beliebtes Ziel deutscher Schnäppchenjäger, die hier auf Märkten
billig einkaufen oder Knödel und Bier für Spottpreise konsumieren.
Die tschechischen Grenzer bekommen im Schnitt umgerechnet 600 Euro
pro Monat, die deutschen verdienen ein Mehrfaches. «Das ist schon ein
Problem», meint Polizeihauptmeister Brauns (38). Schließlich würden
beide Seiten die gleiche Arbeit verrichten. Dennoch hat das Geld die
gegenseitige Sympathie bei vielen nicht beeinträchtigt. Brauns und
Kluge werden im Grenzhäuschen wie gute alte Bekannte empfangen.
«Heute feiern wir Schengen», sagt der junge Tscheche noch einmal.
Vorerst sind nur die Stunden bis zur Abschiedsparty gezählt.
Wenig später sind Brauns und Kluge mit ihrem blau-weißen
Volkswagen-Transporter auf dem «Grenzweg» angelangt. Das nasskalte
Wetter lockt nur noch wahre Naturfreunde an. Den Wanderweg an
einem Steilhang etwa 80 Meter oberhalb der Elbe nutzen auch illegale
Grenzgänger. Mitunter findet die Streife alte Kleidungsstücke: «Die
Ausländer wissen genau, dass sie gepflegt in Schmilka erscheinen
müssen, sonst fallen sie im Ort nur auf», erzählt Mario Brauns.
Die meisten Tricks kennen die Bundespolizisten sowieso. «Das ist
manchmal wie ein Spiel», sagt Brauns. Die Taktik habe sich verändert.
«Während früher ein Schleuser auf zehn Ausländer kam, sind es heute
zehn Schleuser auf einen Ausländer.» Die beiden Bundespolizisten
berichten von illegalen Grenzgängern, die als Bergsteiger oder
Fahrrad-Ausflügler getarnt nach Deutschland wollten. Auch wenn zu
viele Leute das Geld für die Elbfähre von Schmilka ans andere Ufer
nach Krippen passend in der Tasche haben, ist das verdächtig. Die
Schleuser geben Instruktionen, wie man unauffällig mit der S-Bahn
nach Dresden und von dort weiter in andere deutsche Städte oder EU-
Länder gelangt. In Vernehmungen haben Brauns und Kluge erfahren, dass
eine Schleusung bis zu 5000 Euro kostet.
In Vietnam oder anderswo spart eine ganze Familie mitunter Jahre
dafür, dass einer von ihnen es schafft. Annett Kluge berichtet von
einer Großmutter aus Litauen, die ihrem Enkel für 3000 Euro eine
letztlich gescheiterte Schleusung bezahlte. «Solche Schicksale lassen
einen nicht kalt.» Vor allem dann, wenn die Betroffenen den Weg ins
erhoffte Paradies mit dem Leben bezahlen. Der Umgang mit Tod und Leid
ist für den Leiter der Bundespolizeidirektion Pirna, Gregor Pelzl,
die größte Herausforderung für seine Mitarbeiter.
Viele Bundespolizisten haben damit Erfahrungen gemacht. Gerade im
Elbtal gibt es für Ortsunkundige die Gefahr, vom Weg abzurutschen
oder von Felsen herunterzustürzen. Unterhalb des Grenzweges hat es
vor ein paar Jahren einen Rumänen erwischt. «Manche Beamte kommen
besser damit klar, andere nicht. Man stumpft nicht ab, aber man
rechnet damit, dass so etwas jeden Tag passieren kann», sagt Brauns.
Wenn die eigenen Kollegen betroffen sind, sei es besonders schlimm.
An der deutsch-französischen Grenze hat er es früher selbst erlebt.
Brauns richtet den Blick auf die andere Elbseite. Jetzt, wo die
Bäume kaum noch Blätter haben, ist der Durchblick bestens. Auch die
Bundespolizeiinspektion in Krippen ist von hier aus sichtbar, selbst
ohne Fernglas. «Die Schleuser wissen genau, wenn bei uns ein Fahrzeug
losfährt oder Schichtwechsel ist.» Andererseits lässt sich auch von
Krippen aus die Szenerie am anderen Elbhang gut beobachten. Dort ist
nicht immer «illegaler» Hochbetrieb. «Manchmal ist man froh, wenn man
ein Reh sieht», bekennt Polizeiobermeisterin Kluge.
Freilich ist die Arbeit nur selten romantisch. Die Bundespolizei
hat mehrere Aufgaben zu erfüllen. Im Bereich des Amtes Pirna betrifft
das die Sicherheit am Flughafen Dresden, an den Bahnlagen des Bundes
und an der Grenze östlich der Elbe von Bad Schandau über den deutsch-
polnischen Grenzabschnitt bis hin nach Brandenburg. 2300 Mitarbeiter
stehen Amtsleiter Pelzl zur Verfügung. Wie viele es künftig noch
sind, weiß offiziell bislang keiner.
«Es gibt natürlich noch keine Erfahrungen, wie die Entwicklung
nach dem Wegfall der Kontrollen an diesen Grenzen ist. Ich persönlich
gehe davon aus, dass es zu keinen signifikanten Veränderungen kommen
wird», erklärt der 42 Jahre alte Amtschef und spricht von
«Ausgleichsmaßnahmen». «Die Bundespolizei wird sich gerade nach dem
Wegfall der stationären Grenzkontrollen in sehr hoher Präsenz im
Grenzgebiet als aktive Polizei darstellen.»
«Das ist so, als wechselt man die Arbeit», sucht die Sprecherin
des Bundespolizeiamtes Pirna, Karin Meyer, einen Vergleich. Schon
jetzt sei die Bundespolizei für einen 30 Kilometer breiten Gürtel
entlang der Grenze mitverantwortlich. «Unsere Aufgabe heißt auch nach
der Schengen-Erweiterung: Schutz der Grenze.» So würden Kontrollen
verstärkt im Hinterland stattfinden. Außerdem seien die Beamten mehr
zivil unterwegs. «Mitschwimmen im Verkehr und gezielt Kraftfahrzeuge
überprüfen», beschreibt Meyer die Methode.
Nicht alle sehen die Lage optimistisch. Wie der Vorsitzende des
Bezirkspersonalrates beim Bundespolizeipräsidium Ost, Jürgen Stark,
meint, sind die wegfallenden Grenzkontrollen für die Beschäftigen
schon seit zwei Jahren ein Dauerthema. Es habe ein ständiges Auf und
Ab in der Sorge um ihre künftige dienstliche Heimat gegeben. «Da ist
die Sorge um Kinder, die zur Schule gehen oder eine Ausbildung
machen.» Nun gebe es eine große Unsicherheit: «Die Kolleginnen und
Kollegen fühlen sich im Stich gelassen.»
Schon im Vorfeld hatte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) vor
Sicherheitsrisiken bei Wegfall der Grenzkontrollen gewarnt. Josef
Scheuring, Chef vom GdP Bezirk Bundespolizei, listete ein Spektrum
möglicher Straftaten auf, die vom 21. Dezember an zunehmen könnten:
Menschenhandel, Zollhinterziehung, Kfz-Diebstahl, illegale Ausfuhr
von Kulturgütern und illegale Beschäftigung. Heinz-Peter Haustein,
Bürgermeister der Grenzgemeinde Deutschneudorf im Erzgebirge hält
dagegen, dass sich auch frühere Ängste dieser Art nicht bestätigten.
In Schmilka bleibt man mit Zukunftsprognosen zurückhaltend, auch
was die eigene Personalstärke betrifft. Solange unklar ist, wie sich
die folgende Strukturreform im Detail auswirkt, scheint Gelassenheit
die beste Devise. «Das beschäftigt einen schon. Es gibt Gerüchte. Ich
sehe das aber auch positiv», sagt Brauns gelassen. Für ihn sei der
Dienst an der Grünen Grenze viel spannender. «Direkt am Grenzübergang
war ich nie so gern. Ich freue mich auf die offene Grenze.»
Im Gegensatz zu anderen kennt er die grenzenlosen Zeiten. 1995
fielen die Kontrollen an der deutschen Westgrenze. «Mit dem
Streifenfahrzeug wussten wir manchmal gar nicht mehr, auf welchem
Territorium wir sind. Man hat die Grenze nicht mehr erkannt. Ich fand
das schön.» Die 28-jährige Annett Kluge hat Bedenken. Manche
Mitarbeiter hätten Häuser gebaut und nun Angst vor einer Versetzung.
«Womöglich sehen jetzt einige Beamte auch die Chance, in ihre
Herkunftsorte zurückzukehren», sagt Karin Meyer. Das Team in Pirna
ist bunt gemischt. Meyer stammt aus Mecklenburg-Vorpommern, Brauns
aus Sachsen-Anhalt. Nur Kluge ist in der Gegend hier groß geworden.
Verständnisprobleme gibt es nicht. Abkürzungen helfen weiter, TASK
steht für «Training zur Ausbildung der sozialen Kompetenz», RAP für
«Reiseausweispassersatz». Der UA ist ein Ukrainer.
Dabei müssen die Bundespolizisten laut Arbeitsvertrag allerorten
dienstbereit sein. Einige Posten sind nicht gerade heiß umworben. Mit
dem Übergang Zinnwald liegt einer nicht weit von Schmilka entfernt.
«Da gibt es nur zwei Jahreszeiten: Winter und strengen Winter.»
Brauns lacht. Den Abschnitt im Elbtal hat er als einen der
landschaftlich schönsten in Deutschland ausgemacht. «Unser Chef sagt
immer: Wo andere Urlaub machen, da arbeiten wir.»
Dass die Bundespolizei hier ein gutes Image hat, zählt als
Argument zum Dableiben. Meyer nennt die Sachsen «polizeifreundlich».
Tatsächlich werden die Bundespolizisten hier mehrheitlich als «Freund
und Helfer» wahrgenommen. Ihre Präsenz an der Grenze, auf Bahnhöfen
und Flugplätzen vermittelt ein Gefühl von Sicherheit. Deshalb mangelt
es auch nicht an Unterstützung. Viele Tipps zu illegalen Einreisen
oder Auto-Diebstählen erhalten die Grenzschützer von Einwohnern. «Auf
Streife werden wir von den Leuten oft angesprochen», erzählt Brauns.
Darauf dürfte es künftig noch mehr ankommen, meint Kluge. «Bis
jetzt waren die Grenzübergänge wie ein Trichter. Dort haben wir
vieles abgefangen.» Bei offenen Grenzen müssen das nun die Streifen
im Hinterland richten. Auch fortan sollen sie «zweisprachig»
unterwegs sein. Schon heute beobachten Beamte aus Deutschland und
Tschechien manchmal gemeinsam die Grenze. Brauns hat deshalb
Tschechisch gelernt und vermag Grenzgänger auch auf Englisch und
Spanisch ansprechen. Meyer ist sich aber sicher: «Polizei versteht
hier eigentlich jeder.»
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