Bologna statt Humboldt an Hochschulen Von Georg Ismar, dpa

03.06.2009 03:29

Berlin (dpa) - Erasmus lieben sie, Bologna beschimpfen sie. Europa
hat das Leben der Studenten in den vergangenen Jahren auf den Kopf
gestellt. Von der größten Revolution an deutschen Universitäten seit
dem 19. Jahrhundert wird gesprochen. Austauschprogramme wie Erasmus
gelten als Erfolgsmodell - mit rund 26 000 deutschen Studenten wurde
im Studienjahr 2007/2008 ein Rekord aufgestellt. Dagegen hat die
durch Bologna angestoßene Umstellung von Magister- und Diplom- auf
Bachelor- und Masterstudiengänge in Europa einen Proteststurm
ausgelöst. Im März lieferten sich Studenten in Barcelona bei Anti-
Bologna-Demos sogar Straßenschlachten mit der Polizei.

Dichte Stundenpläne mit Anwesenheitspflicht sowie die Fülle von
Praktika und Klausuren lassen vielerorts keine Zeit fürs Jobben oder
Auslandssemester, lauten die Klagen. Wie ein Hamster im Laufrad kämen
sich viele Studenten vor, kritisiert der Präsident des Deutschen
Hochschulverbandes, Bernhard Kempen. Hochschulgruppen und
Fachschaften haben Nachwuchsprobleme. Der «Bummelstudent» ist infolge
von Bologna und Studiengebühren zur aussterbenden Spezies geworden.
Nun, da in Deutschland 9200 und damit 75 Prozent aller Studiengänge
auf Bachelor und Master umgestellt sind, wird «Bologna» immer mehr
zum Schimpfwort. Experten raten zum Nachbessern.

Alles begann vor zehn Jahren im Juni 1999 in der italienischen
Universitätsstadt Bologna. Dort beschlossen 29 europäische Staaten
die Angleichung der Hochschulsysteme. Die Vision: Ein Studium ohne
Grenzen für mehr als 15 Millionen Studenten an rund 5000 Hochschulen
der EU und angrenzender Staaten - ohne Streit über die Anerkennung
von Leistungsscheinen und Prüfungen. Das sollten gleiche Abschlüsse
und vergleichbare Studienpläne gewährleisten. Das Studium sollte
passgenauer für den Arbeitsmarkt werden. Deshalb wurden die
bisherigen Diplom- und Magister-Studiengänge auf die Basiswissen
vermittelnde Bachelor- und die darauf aufbauende Master-Struktur
umgestellt.

Berlin, Staatsbibliothek: Entspannt trinkt Jenny Berg vor dem
Eingang ihren Kaffee. «Ich habe meinen Job aufgegeben, da in den
ersten beiden Semestern zu viel für die Uni zu tun war», berichtet
die 23-jährige Studentin. Gleichwohl stimmt sie nicht ins Bachelor-
Klagelied ein. Sie sieht Vorteile. In ihrem Fach sei die Umstellung
auf den Bachelor gut gelungen. Und durch den Druck von Beginn an sei
sie viel besser ins Studium hereingekommen.

«Der Bachelor macht dumm», konstatierte der Politikwissenschaftler
Peter Grottian hingegen in der «Zeit». Fachidiotie und Karrieredenken
träten an die Stelle des freien Geistes. Die Kritik an Bologna führt
zu einer Idealisierung des Studiums Humboldtscher Prägung. Preußens
Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt schuf mit seinen Ideen das
freie, selbstbestimmte Studium, das die Universitätslandschaft bis
Bologna dominierte. Arbeitgeber klagten jedoch, dass Absolventen
nicht zielgerichtet ausgebildet würden. Viele Professoren loben
heute, Studenten würden jetzt zum konsequenten Studieren angehalten.
Der Stoff werde viel schneller vermittelt. Statt umfangreicher Examen
am Ende des Studiums werde nun mit Klausuren nach jedem Semester die
Studienleistung gleichmäßig und fair bewertet.

Vielleicht ist der Mittelweg die Lösung: Nach zehn Jahren Bologna
soll der Bachelor in Deutschland jetzt großzügiger gestaltet werden -
zum Beispiel durch die Verlängerung der Studiendauer bis zum
Abschluss von jetzt zumeist sechs auf künftig acht Semester. Dann
bliebe mehr Zeit zum Jobben, für Auslandssemester, zur Vertiefung des
Wissens - und zum Genießen der rarer gewordenen Uni-Partys.
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