Milchbauern erringen kleinen Sieg in Brüssel Von Catherine Simon, dpa

19.06.2009 13:00

   Brüssel (dpa) - Die Strapazen haben sich gelohnt. Mit ihrem
spektakulären Protest beim EU-Gipfel in Brüssel haben die Milchbauern
einen kleinen Sieg errungen. Die Staats- und Regierungschefs der 27
Mitgliedstaaten wollen den Milchpreis in Europa schneller als geplant
auf den Prüfstand stellen. Die EU-Kommission soll in den nächsten
zwei Monaten den Markt analysieren und nach Abhilfe suchen.

   Der Weg hierhin war lang. Hunderte Bauern haben die Nacht zum
Freitag in der Nähe des EU-Ratsgebäudes verbracht. Fast 800 Kilometer
Strecke haben einige hinter sich gebracht. In Schleswig-Holstein
beispielsweise hatten sie sich schon am vergangenen Wochenende mit
ihren Traktoren auf den Weg in die belgische Hauptstadt gemacht.

   Müde aber erleichtert nehmen sie die Neuigkeit auf. «Das ist d
och
schon mal was», sagte der Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher
Milchviehhalter (BDM), Romuald Schaber. «Ein erster Schritt in die
richtige Richtung.» Zwei Monate Zeit für die Analyse, so fürchten
die meisten Bauern, sind aber eigentlich viel zu lang. «Das ist das
Alleräußerste. Die Leute haben keine Zeit mehr», sagt Schaber. Einige
Bäuerinnen brechen aus Verzweiflung sogar in Tränen aus.

   Ein großer Teil der rund 100 000 Milchbauern in Deutschland ist
nach Verbandsangaben bereits hoch verschuldet. Manche Höfe mit 400
Kühen machen jeden Monat bis zu 30 000 Euro Verlust. Viele
Großbetriebe in Ostdeutschland stehen kurz vor dem Aus.

   «Es ist noch nicht vorbei», glaubt Günther Lüdders aus
Mecklenburg-Vorpommern. Wie viele andere hat er zwischen Traktoren im
großen Park in der Innenstadt von Brüssel gecampt. Zum Frühstück ga
b
es gekochte Eier oder Bratwürste. Für ihre Sache zu kämpfen sei die
Mühe aber wert. «Wer nichts macht, hat schon verloren», sagt Lüdder
s.

   Am späten Donnerstagabend hatten sich einige Bauern mit wütend
en
Protesten Luft gemacht. Mit Traktoren fuhren sie auf die Absperrungen
zu und zündeten Strohballen an. Die Polizisten sprühten Augenzeugen
zufolge einmal Tränengas. Kurze Zeit später beruhigte sich die Lage
jedoch wieder.

   Seit mehr als einem Jahr kämpfen die Bauern gegen die aus ihrer
Sicht zu niedrigen Erzeugerpreise. Sie bekommen derzeit etwa 25 Cent
pro Liter. Nötig wären nach Branchenangaben jedoch rund 40 Cent. Im
Mai versuchten zahlreiche Milchbäuerinnen in Berlin mit einem
Hungerstreik Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auszuüben.
Die Kanzlerin versprach damals Unterstützung, wenn auch ohne konkrete
Zusagen. Die Gipfelrunde in Brüssel hatte das Thema nun auf Drängen
Merkels auf die Agenda gesetzt.

   Jetzt will EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel tatsächlich
schon bis September einen gründlichen Bericht über den Milchsektor
vorlegen - und nicht erst bis 2010. Dann will Deutschland erneut die
umstrittene Erhöhung der sogenannten Milchquote auf den Tisch legen.
Die Quote schreibt eine Obergrenze für die Produktion fest. Mit der
Quote versucht die EU seit 1984, «Milchseen» und «Butterberge» zu
verhindern und die Preise hoch zu halten. Bis 2013 soll sie jährlich
um ein Prozent angehoben werden und 2015 ganz wegfallen.

   Während billiger produzierende Länder wie Italien steigende
Absatzchancen etwa in China wittern, fürchten die Deutschen das freie
Spiel der Marktkräfte. Deshalb will Merkel angesichts der niedrigen
Milchpreise die Milchquote zwar nicht behalten, aber die automatische
Anhebung bis 2013 rückgängig machen. Stattdessen soll es in einem
Jahr beispielsweise gar keinen Anstieg geben und im nächsten Jahr
zwei Prozent.

   Die EU-Kommission dagegen weist darauf hin, dass die Quote in
Deutschland ohnehin nicht ausgeschöpft wird. Deshalb würde sich am
Preis auch bei einer niedrigeren Produktionsdeckelung nichts ändern,
heißt es. Was viel wegweisender sein könnte, das hat die Behörde
längst in die Wege geleitet: Sie nimmt die Produktionskette genau
unter die Lupe, auf der Suche nach etwaigen Kartellen. Handelsriesen
wie Aldi und Lidl müssen sich in Deutschland dem Vorwurf stellen, mit
niedrigen Milchpreisen auf Kundenfang zu gehen. Die Molkereien
wiederum stehen in der Kritik, nicht hart genug zu verhandeln und
Niedrigpreise auf die Schultern der Bauern abzuwälzen. «Wir wissen im
Moment nicht, wohin die Gewinne gehen, aber mit Sicherheit nicht zu
den Bauern», warnt ein Kommissionssprecher.
dpa dj/cat xx a3 rom