Das Jahr der Euro-Kettenreaktion Von Matthias Armborst, dpa

20.12.2010 09:45

Eines der geflügelten Worte 2010 wird «Euro-Krise» sein: Riesige
Rettungspakete wurden geschnürt, Griechenland und Irland griffen zu.
Und ausgestanden ist nichts - 2011 wird zeigen, ob die schwerste
Prüfung des Euro bestanden ist oder erst noch bevorsteht.

Berlin/Brüssel (dpa) - Der Anfang der Euro-Kettenreaktion liegt
irgendwo im Jahr 2009. Vielleicht war es der 16. Dezember: Standard &
Poor's senkt an diesem Tag das Kreditrating Griechenlands von «A-»
auf «BBB+» - die Bonität Athens liegt damit nur noch knapp über
Ramschstatus.

Mit einem massiven Sparprogramm will Athen retten, was kaum noch
zu retten ist. Die Griechen stehen mit dem Rücken zur Wand - und ab
Februar unter Aufsicht der EU-Kommission. Brüssel verhängt scharfe
Sparauflagen, verspricht aber auch, notfalls mit Hilfen
einzuspringen. Am 25. März einigen sich die Staats- und
Regierungschefs der Euro-Länder auf einen Rettungsplan.

Nach und nach wird bekannt: Griechenland lebte nicht nur weit über
seine Verhältnisse, sondern auch in einem finanzpolitischen
Lügengebäude. Im April ist zunächst von einem Defizit von 13,6
Prozent die Rede - fast ein Prozentpunkt mehr als bis dahin für 2009
gemeldet. Im Oktober sind es schon 15,4 Prozent. Dass sich Athen auch
den Euro-Beitritt mit geschönten Daten erschlichen hatte, ist da
längst eine Binsenweisheit.

Am 23. April hat das Taktieren ein Ende: Athen bittet die EU und
den Internationalen Währungsfonds (IWF) offiziell um Hilfe. Euro-
Länder und IWF sind zunächst bereit, mit 45 Milliarden Euro unter die
Arme zu greifen, letztlich werden es 110 Milliarden Euro in drei
Jahren sein. Tage später geraten weitere Euro-Staaten ins Zwielicht:
Diesmal stuft Standard & Poor's Portugal und Spanien herab.

Als das Ausmaß des griechischen Schuldenfiaskos bekannt wird,
überschlagen sich die Ereignisse: Um Staatspleiten abzuwenden und den
anhaltenden Kursverfall des Euro aufzuhalten, spannen die Euro-
Mitglieder am 10. Mai einen 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirm. Der
IWF hilft dabei. Kredite werden an eine strenge Haushaltssanierung
geknüpft. Zu diesem Zeitpunkt steht der Euro rund 20 Prozent
schlechter als sechs Monate zuvor.

Der Fels in der Brandung - die Europäische Zentralbank (EZB) -
beginnt praktisch über Nacht damit, Anleihen klammer Euro-Staaten
aufzukaufen. Die extreme Unsicherheit auf den Finanzmärkten soll
damit bekämpft werden. Bis Dezember häuft die EZB einen Staatspapier-
Berg in Höhe von 72 Milliarden Euro auf. Weil sie befürchtet, auf
einem Teil sitzen zu bleiben, stockt die EZB schließlich über die
nationalen Notenbanken ihr Grundkapital auf - ein beispielloser
Vorgang.

Im Juni nehmen die Euro-Länder eine Generalüberholung ihrer
Währungsunion in Angriff: Eine besser abgestimmte Wirtschaftspolitik,
schnellere und härtere Strafen für Schuldenmacher und ein ständiges
Sicherheitsnetz gegen Staatspleiten - dies zusammen soll den Euro
sicherer machen.

Doch schon bald richten sich alle Augen auf den nächsten
Wackelkandidaten: Irland. Noch am 11. November betont die EU-
Kommission, es gebe «keine Notwendigkeit, den Hilfs-Mechanismus zu
aktivieren». Zehn Tage später muss das Land erklären, dass sich ein
so kleiner Staat «bei einem übergroßen Problem wie unserem
Banksektor» nicht allein helfen könne. Als erstes Land flüchtet
Irland unter den neuen Rettungsschirm. Die Insel erhält eine 85-
Milliarden-Euro-Hilfe, harte Sparauflagen sind der Preis.

Zwar stemmen sich insbesondere Deutschland und Frankreich im
Dezember vehement gegen gemeinsame Anleihen, sogenannte Euro-Bonds.
Auch verständigen sich die Euro-Länder darauf, den Rettungsfonds
zunächst nicht aufzustocken. Sie beschließen aber, von 2013 an ein
dauerhaftes Sicherheitsnetz für Pleite-bedrohte Staaten aufzuspannen.
Doch niemand weiß, ob die Kettenreaktion damit gestoppt ist.

Dass die Schuldenkrise 2011 weiter eskaliert, mag niemand
ausschließen. Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater sieht schon im
kommenden Jahr mögliche Anlässe für eine weitere Zuspitzung. Er nennt

Probleme im spanischen Bankensystem oder politische Verwerfungen in
Italien, die die Märkte in Aufruhr versetzen könnten. Allerdings ist
sich Kater sicher, dass die EU-Politik letztlich eine überzeugende
Antwort findet, um den Euroraum zusammenzuhalten. So sieht das auch
Katers Kollege Jörg Krämer von der Commerzbank: «Wenn der Euro-Raum
wirklich auf dem Spiel stünde», so Krämer, würde die Option einer
gemeinsamen Anleihe greifen.

Bundesbankchef Axel Weber, von Herbst 2011 an möglicherweise
dritter Präsident an der EZB-Spitze, versicherte beim 180. Geburtstag
der Münchner Börse: «Auch bei der 200-Jahrfeier der Börse München

wird dort noch in Euro abgerechnet werden.»

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## Internet
- [Euro-Informationsseiten der Europäischen Kommission]
(http://dpaq.de/76V6n)