Deutschgriechen genervt und besorgt Von Rolf Schraa und Oliver Schmale, dpa

30.09.2011 17:16

Bei der Arbeit blöde Sprüche, beim Nachrichtenschauen am Abend Sorgen
um die Zukunft: Griechen in Deutschland stehen doppelt unter Druck.
Diskutiert wird jeden Tag, in einem Punkt sind sich fast alle einig:
Die harten Sparreformen in der Heimat treffen die Falschen.

Essen/Stuttgart (dpa) - Der Arbeitstag begann für Bankerin Argiro
Kamarianaki (42) aus Herten im Ruhrgebiet mal wieder mit einem
Griechenwitz. Sie ist dienstlich bei einer Zwangsversteigerung, sagt
ein Anbieter: «Aber bitte mit deutschen, nicht mit griechischen Euros
zahlen.» Antwortet sie sarkastisch: «Die sind doch eh alle von Euch.»


Kamarianaki weiß es als Bankkauffrau natürlich besser, sie ist im
Ruhrgebiet aufgewachsen, hat den deutschen Pass - und muss sich wie
Zehntausende Landsleute doch jeden Tag Sprüche anhören, die manchmal
schmerzen. Ihre Eltern sind 1960 aus Alexandroupolis im äußersten
Nordosten Griechenlands mit dem Bus nach Deutschland geholt worden.
Direkt am nächsten Tag hat ihr Vater in einer Wurstfabrik angefangen.

Ihre Familie hat das Gefühl, hier ihren Beitrag geleistet zu
haben. In Alexandroupolis - einer 80 000-Einwohnerstadt etwas größer
als Herten - stehen diesen Sommer aber mehr als ein Drittel der Läden
leer. Keiner kauft mehr, trotz Sonderangeboten.

«Das hat ein Maß an Überheblichkeit», sagt Maria Kalaitzidou (49
),
Lehrerin aus Essen, zur Griechenland-Debatte. «Deutschland wäre doch
auch pleite, wenn es seine Schulden zurückzahlen müsste.» In ihrer
Heimat, einem Dorf in der Nähe von Thessaloniki in einem der
fruchtbarsten Täler des Landes, warten die Obstbauern immer noch auf
ihr Geld für die letzte Ernte. Solche Kleinverdiener trifft die Krise
jetzt besonders und ungerechtfertigt hart, finden beide Frauen.

Nicht die 600-Euro-Rentner sollten zur Kasse gebeten werden,
sondern die reichen Griechen, die große Vermögen angehäuft haben,
fordert Stefanos Fraskos (46) aus Hagen. Der arbeitslose
Familienvater muss seine Kinder nach der Schule öfter trösten. «Die
werden ausgelacht: Griechenland ist bankrott. Aber wir können es doch
nicht ändern.» «Wenn einer am Boden liegt und die anderen stehen
drumherum - dann tritt man doch nicht noch drauf, sondern hilft»,
sagt der Essener Kellner Makis Salvanos (52) aus dem griechischen
Restaurant «Hügoloss».

Der psychische Druck auf die Griechen ist größer geworden und die
ständige schlechte Presse schadet dem Geschäft - das gilt auch für
Stuttgart, eine deutlich wohlhabendere Gegend als das Ruhrgebiet:
«Mancher macht sich Sorgen wegen der vermehrten Streiks in
Griechenland», sagt Christos Gortsilas (41) im auf Griechenland
spezialisierten Stuttgarter Reisebüro «Geo's Reisen». Die öffentlic
he
Debatte habe die Buchungen zurückgehen lassen, berichtet er.

«Es wird immer nur von 'den Griechen' gesprochen, ohne zu
differenzieren», klagt er. Generell spricht sich der
Touristikspezialist - wie praktisch alle Griechen hier - für eine
Unterstützung des Landes aus. «Man versucht das Land zu retten, um zu
zeigen, dass man zusammenhält.» Griechenland sei erst der Anfang.
Auch andere Länder müssten in Zukunft gestützt werden. «Wenn
Griechenland untergeht, gehen wir alle unter», sagt Kamarianaki.

# dpa-Notizblock

## Berichtigung
- Im Text wurden die Schreibweise der Stadt Alexandroupolis und des
Restaurants «Hügoloss» berichtigit.

## Orte
- [Reisebüro Geo's Reisen](König-Karl-straße 36, 70372 Stuttgart)
- [Restaurant Hügoloss](Freiherr-vom-Stein-Straße 211 a, Essen)