Streit mit EU bringt Ukraine auf Russland-Kurs Von Nina Jeglinski und Benedikt von Imhoff, dpa
19.10.2011 15:41
Der Streit zwischen der EU und der Ukraine um die verurteilte
Ex-Regierungschefin Timoschenko eskaliert. Brüssel lädt Präsident
Janukowitsch aus. Nun orientiert sich die Ex-Sowjetrepublik wieder
stärker zum alten Partner Russland. Moskau frohlockt.
Kiew (dpa) - Klammheimliche Freude in Moskau, Verstimmung in
Brüssel: Der Streit zwischen der Ukraine und der Europäischen Union
führt zu einer Annäherung der Ex-Sowjetrepublik an Russland. Nach der
Ausladung des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch von einem
Besuch in Brüssel sei Freude in der Maschine von Kremlchef Dmitri
Medwedew ausgebrochen, der just in die Ukraine unterwegs war,
berichtet die russische Zeitung «Kommersant». Die EU tobt hingegen
wegen der Verurteilung der ukrainischen Ex-Regierungschefin Julia
Timoschenko zu sieben Jahren Haft wegen angeblichen Amtsmissbrauchs.
«Die EU wird ihre Prinzipien nicht über Bord werfen. Also wird
Janukowitsch zu uns kommen», zitiert das Blatt einen russischen
Diplomaten. Allerdings: Allein auf Russland scheint die Ukraine dann
doch nicht setzen zu wollen. Nun soll Vize-Premier Andrej Klujew an
diesem Donnerstag nach Brüssel fahren und sich dort um
Schadensbegrenzung bemühen. Doch Russland bleibt an allen Fronten
aktiv: Am Mittwoch verhandelt Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow
mit der Ukraine über weitere Militärabkommen.
Moskau frohlockt. Medwedew umschmeichelt seinen Amtskollegen
Janukowitsch beim gemeinsamen Treffen und geht sogar ein Stück weit
auf die alte Forderung nach niedrigeren Preisen für russisches Gas
ein. Seit seinem Amtsantritt im Februar 2010 verlangt Janukowitsch
eine Revision der Verträge - es sind gerade jene Kontrakte,
deretwegen Timoschenko verurteilt wurde.
Im Gegenzug will Russland das Nachbarland in eine von Moskau
geführte Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland locken, der nun
vermutlich auch Kirgistan beitritt. Bislang sträubt sich die Ukraine
gegen eine Vollmitgliedschaft, doch nun kündigt Regierungschef
Nikolai Asarow demonstrativ an, eine Aufnahme zu prüfen. Janukowitsch
wolle einen Sonderstatus aushandeln, vermutet der ukrainische
Politologe Wladimir Fessenko.
Bei allem Zwist mit der EU will sich Janukowitsch jedoch die Tür
nach Brüssel nicht vollständig verbauen. Der Westen könne sich
ansonsten rächen, warnt die Zeitung «Segodnja». Im Raum stünden etw
a
die weitere Verweigerung der Visafreiheit für Ukrainer oder die
Blockade von Hilfszahlungen des Internationalen Währungsfonds (IWF)
an das finanziell angeschlagene Land. Selbst Reiseverbote für die
ukrainische Führung seien möglich, schreibt das Blatt.
«Viktor Janukowitsch sitzt zwischen zwei Gemeinschaften»,
kommentiert «Kommersant». Der Präsident müsse aufpassen, dass er
nicht zwischen den beiden einflussreichen Blöcken zerrieben wird,
warnen Beobachter. Die Ukraine fährt einen gefährlichen
Schlingerkurs. «Janukowitsch glaubt allen Ernstes, er könne
Regelungen mit Brüssel aushandeln, die der Ukraine nutzen, aber der
EU schaden», kritisiert der Politologe Wladimir Gorbatsch. Doch die
Strafe gegen Janukowitschs schärfste Gegnerin Timoschenko hat das
Fass für die EU zum Überlaufen gebracht. Die Strafe sei politisch
motiviert, schimpft Brüssel.
Mit der EU wollte Janukowitsch an diesem Donnerstag eigentlich
über ein Assoziierungsabkommen verhandeln, das auch einen großen
Handelsteil beinhalten soll. «Der Präsident hat alle Warnungen
ignoriert und gemeint, er könnte das Problem aussitzen»,
sagt Gorbatsch. «Doch er hat die Geduld der EU überschätzt.»
Neue Betrugsvorwürfe gegen die frühere Gasmanagerin müssten
genauestens untersucht werden, fordert Janukowitsch nun und lehnt
eine vorzeitige Freilassung Timoschenkos deutlich ab. «Mehr
Opposition zur EU hätte er gar nicht zeigen können», urteilt
Gorbatsch. Russland hingegen hat das drohende zweite Verfahren gegen
Timoschenko bereits als unpolitisch bezeichnet.
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