Offshore-Oase vor der EU-Haustür - Jerseys Kampf als Finanzplatz Von Michael Donhauser, dpa
23.04.2013 13:24
Cayman, Bermudas, Gibraltar, Jersey - die Liste der Steuerparadiese
unter britischer Obhut ist lang. London leistet sich den Luxus auch
vor der eigenen Küste. Doch die Zeiten werden härter. Die Kanalinsel
Jersey hält Mittwoch ein Referendum ab.
St. Helier (dpa) - Breite Sandstrände, eine malerische
Küstenlandschaft und viel Sonne - die Insel Jersey im Ärmelkanal ist
ein Kleinod im Ärmelkanal. Touristen kommen aus ganz Europa auf die
Inselgruppe kurz vor Frankreich, um die Mischung aus «Very British»
und französischem «Savoir Vivre» kennenzulernen - nur 20 Kilometer
vom Festland Frankreichs entfernt.
Die Inseln mit erstaunlich hoher Porsche-Dichte und den großen
Banken in der Fußgängerzone werben um die Superreichen aus aller Welt
- und deren Geld. Jersey ist eines der größten Offshore-Finanzzentren
Europas - und steht deswegen massiv in der internationalen Kritik. Am
Mittwoch stimmen die Einwohner per Referendum ab, ob die Insel ein
wenig mehr Demokratie erhalten soll.
«Auf Jersey gibt es nur eine Partei», sagt Nick Le Cornu. «Und die
heißt Geld.» Der inzwischen arbeitslose Finanzanwalt gehört zur
Opposition, die unbedingt die Verhältnisse ändern will. Mit der
«Option A» sollen die Wähler am Mittwoch den Zuschnitt der
Stimmbezirke deutlich ändern, wünscht sich der 54-Jährige. Bisher
wählen im reichen Norden, wo die wohlhabenden Finanzmanager wohnen,
etwa 1500 Wähler je einen der derzeit 51 Abgeordneten für das
Parlament, die «States». In den Arbeitervierteln der Hauptstadt St.
Helier stimmen bis zu 19 000 Menschen für nur einen Parlamentarier.
Auch wenn sich der Optimismus für einen Sieg beim Referendum in
Grenzen hält: Das Demokratiedefizit halten Le Cornu und seine
Mitstreiter für das Übel der Insel. Nur so sei es möglich, dass alle
Macht in der Hand weniger Einzelner bleibe. Und die hätten nichts
anderes im Sinn, als den Status Quo als Steuerparadies zu erhalten.
Die Politik der vier Kanalinseln Jersey, Guernsey, Alderney und
Sark erinnert in der Tat an die Zeiten der Feudalherrschaft. So wird
Jersey noch immer von einem Landvogt regiert. Die Kanalinseln gehören
nicht zu Großbritannien und schon gar nicht zur EU, sind aber wie
auch die Isle of Man britischer Kronbesitz - der Kronrat in London
hat deshalb bei allen Entscheidungen das letzte Wort. Der Privy
Council, der etwa auch über die Fragen der Thronfolge entscheidet,
muss alle Gesetze auf Jersey abnicken.
Seit 2009 ist Jersey von der grauen OECD-Liste der Steueroasen
gestrichen. Die Inselregierung hat einige Doppelbesteuerungsabkommen
abgeschlossen, darunter mit EU-Ländern wie Luxemburg und Deutschland.
Kritiker halten das für einen Witz. «Klar ist Jersey eine
Steuer-Oase», sagt etwa Richard Murphy, ein britischer Ökonom und
Buchautor, der die Website Tax Research UK betreibt. «Jersey erfüllt
die wichtigsten Kriterien: Geheimhaltung, die Tatsache, dass dort
kaum Wertschöpfung passiert und niedrige Steuern.»
Auf Jersey werden 49 Prozent der Wirtschaftsleistung nach
offizieller Statistik von Banken, Treuhandgesellschaften,
Hedge-Fonds, Privatstiftungen und Finanzanwälten erbracht. Das
Steuersystem bevorzugt Ausländer. Die Insulaner tragen zu 80 Prozent
die Steuerlast. Die Ausländer, die Unmengen Geld vor allem über die
auf Jersey beliebten Trusts schleusen, zahlen kaum etwas.
Das Finanzgebaren treibt erstaunliche Blüten. Vor ein paar Jahren
entdeckten international tätige Händler ein Schlupfloch im britischen
Mehrwertsteuer-Recht. Seitdem ließen sie Bücher und CD's von
Gastarbeitern aus Polen und Portugal auf Jersey verpacken und
lieferten steuerfrei nach England. London schloss die Lücke. Seitdem
gibt es auf Jersey ein bis dahin ungekanntes Phänomen:
Arbeitslosigkeit. Derzeit sind etwa 2000 Inselbewohner ohne Job.
Kopfschmerzen dürfte den Finanz-Jongleuren auf Jersey die neue
EU-Richtlinie zur Zinsbesteuerung bereiten. Die besagt, dass auch
Trusts künftig Informationen über die Guthaben von EU-Bürgern an die
Behörden geben müssen. Damit ist aus Sicht von Experten das
Geschäftsmodell von Jersey, das 2011 in den Top 10 der geheimsten
Finanzplätze rangierte, infrage gestellt. «Es wird einen ziemlich
schnellen Wandel geben», prophezeit der Steuerfachmann Richard
Murphy.