Kältemittel-Streit wird «industriepolitische Schlacht» Von Max-Morten Borgmann, dpa-AFX und Martina Herzog, dpa

15.08.2013 12:44

Die Kältemittel-Tests des Kraftfahrtbundesamts sollten Klarheit über
Gefahren der Chemikalie R1234yf bringen. Doch die Behörde lieferte
nur ein «Ja, aber». Das umstrittene Gas für Auto-Klimaanlagen ist
längst zu einem Politikum geworden.

Stuttgart/Brüssel (dpa) - Die Chemikalie R1234yf hat in den
letzten Monaten eine steile Karriere hingelegt. Vom einfachen
Kältemittel für Auto-Klimaanlagen wurde das Gas durch einen Test des
Daimler-Konzerns mit feurigem Ausgang vor knapp einem Jahr zum
aktuell größten Aufreger der Branche. Seitdem boykottiert der
Autobauer die Substanz, die derzeit die einzige ist, die die
EU-Klimaauflagen erfüllt. Inzwischen hält der Streit höchste
Politikkreise zwischen Berlin und Brüssel auf Trab. Hinter den
Kulissen tobt laut dem Greenpeace-Experten Wolfgang Lohbeck gar eine
«industriepolitische Schlacht».

Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hätte durch seine Untersuchungen
diesem Konflikt eine entscheidende Wendung geben können. Denn bei
umfangreichen Crashtests ging R1234yf in Flammen auf oder setzte
gefährlichen Fluorwasserstoff frei. Allerdings geschah das erst unter
extremen Rahmenbedingungen. Deshalb sah das KBA keine Veranlassung,
Autos zurückzurufen. Der Kältemittel-Hersteller Honeywell wertete das
als Beleg für die Sicherheit seiner Chemikalie.

Jetzt befasst sich die EU-Kommission in Brüssel mit diesen
Ergebnissen. Sie muss entscheiden, ob sie trotz möglicher hoher
Risiken an dem umstrittenen Mittel festhält - oder etwa die weniger
gefährliche, dafür klimaschädlichere Vorgängersubstanz R134a läng
er
erlaubt. Denn es gibt derzeit keine marktreife Alternative zu
R1234yf, die in puncto Klimafreundlichkeit die EU-Auflagen erfüllt.

Aber welches Gewicht haben die KBA-Ergebisse überhaupt für diese
Entscheidung? Ein Brief von EU-Industriekommissar Antonio Tajani aus
dem Frühjahr legt nahe, dass das Thema längst nicht mehr durch
einzelne Tests aus der Welt zu schaffen ist. Die Auseinandersetzung
hat eine ganz andere Größenordnung erreicht: In dem Schreiben an
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler, das der Nachrichtenagentur
dpa vorliegt, betonte Tajani bereits damals die «nicht unerhebliche
internationale Dimension dieser Angelegenheit». Das war kurz vor dem
Beginn der Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit den USA.

In Zeiten so entscheidender und komplexer Verhandlungen «müssen
wir Vertrauen schaffen und unter Beweis stellen, dass wir die
Rechtsvorschriften der EU entschlossen durchsetzen», schrieb Tajani
zu dem Streit. «Genau dieser Aspekt wurde von unseren internationalen
Partnern angesprochen.» Mischten die USA schon damals in der Debatte
mit?

Der Europaabgeordnete Bernd Lange (SPD) spricht Klartext: «Dass
die Vereinigten Staaten Druck gemacht haben, das ist zweifelsohne
so.» Greenpeace-Mann Lohbeck pflichtet ihm bei. Nach seiner Ansicht
machen die beiden einzigen R1234yf-Hersteller, die US-Konzerne
Honeywell und Dupont, sowie die US-Umweltbehörde EPA und Autobauer
General Motors gemeinsame Sache, um die Chemikalie mit allen Mitteln
zu verteidigen. Denn beim Geschäft mit den Kühlmitteln geht es um
einen Milliarden-Markt. «Das ist eine echte US-Seilschaft», meint
Lohbeck. Ihr sei auch zuzuschreiben, dass vor Jahren nicht
Klimaanlagen mit umweltfreundlicherer CO2-Kühlung zum weltweiten
Standard erklärt worden seien, sondern solche mit
Fluorkohlenwasserstoffen, die Greenpeace bekämpft.

Die beiden großen US-Hersteller stehen im Verdacht, ihre Rechte
für den Verkauf von R1234yf auszunutzen: Seit Dezember 2011 ermittelt
die EU-Kommission in einem Kartellverfahren. So waren Beschwerden
eingegangen, wonach Honeywell und Dupont Vereinbarungen getroffen
hätten, die dem Wettbewerb schaden. «Die Untersuchung dauert an und
wir haben nichts hinzuzufügen», sagt ein Kommissionssprecher dazu.

Fest steht: R1234yf ist deutlich teurer als sein Vorgänger R134a.
Aber von Preistreiberei will man bei Honeywell nichts wissen. «Es ist
in der Herstellung einfach ein viel teureres Produkt», sagte Paul
Sanders, der beim Unternehmen für das Kältemittel mit zuständig ist,

unlängst der dpa. «Ich kann nicht sagen, wie viel, aber wir haben
eine erhebliche Menge Geld in all diese Forschung investiert.» Wie
sich der Preis genau zusammensetzt, wollte er nicht sagen.

Brüssel hält sich bei der Risikobewertung des Mittels derzeit
zurück: «Die Kommission hat die Dokumente des KBA erhalten, wir
untersuchen sie sorgfältig und warten natürlich den Endbericht im
Herbst ab», erklärte ein Sprecher lediglich. Nach wie vor fehlten der
Behörde Beweise für ein generelles Sicherheitsrisiko durch die
Brennbarkeit von R1234yf. Oder dafür, dass man das Risiko nicht durch
technische Lösungen eindämmen könnte.

Darüberhinaus wartet die Kommission auf eine Stellungnahme der
deutschen Behörden, die bis zum 19. August auf dem Tisch liegen muss.
Der Bundesregierung droht ein Verfahren wegen Verletzung von
EU-Recht, weil sie das klimaschädlichere R134a weiterhin zulässt -
Daimler etwa verwendet die Substanz auf Basis einer nachträglichen
Genehmigung durch das KBA. Vor der Bundestagswahl am 22. September
dürfte aber nichts entschieden werden, meinen Beobachter.

Indes geht schon nächste Woche der Streit um den französischen
Zulassungsstopp für bestimmte Daimler-Autos wegen des vom Autobauer
verwendeten Kältemittels weiter. Der Hersteller und die
Zulassungsbehörde treffen sich nächsten Freitag (23. August) vor dem
obersten französischen Verwaltungsgericht. Doch auch in diesem
Konflikt könnte eine endgültige Entscheidung womöglich erst in
Brüssel fallen.