Hoffnungen und Ängste in Griechenland - Entscheidungsjahr 2014 Von Takis Tsafos, dpa

08.01.2014 13:00

Es ist verwirrend: Experten sehen Griechenland auf dem richtigen Weg.
Doch die Menschen spüren nichts davon. Nach sechs Jahren Finanzkrise
und Sparmaßnahmen geht ihnen der Atem aus. Ausgerechnet jetzt, wo ein
Silberstreif am Horizont zu sehen ist.

Athen (dpa) - Die Eheleute Stylianou wohnen im Athener
Armenviertel Agios Panteleimon. «Wir haben kein Geld für Heizung, auf
dem Wochenmarkt kann ich mir nur das absolut Notwendige leisten,
krank bin ich und mein Mann auch noch», klagt die 68-jährige
Rentnerin Mairy Stylianou. Ihr Mann ist 75 und hat Krebs. Sie selbst
leidet unter Asthma. «Und die da oben sagen uns, wir sind über den
Berg, bald soll es besser werden.»

Mairy muss mit knapp 540 Euro im Monat auskommen, davon gehen 200
Euro für die Miete weg. Bislang hat sie sich und ihren Mann über
Wasser halten können, weil die Kirche mit Lebensmittelpaketen hilft.
Manchmal geht sie in eine der Suppenküchen der Stadt Athen. Nachbarn
helfen, wenn sie mal die Stromrechnung nicht bezahlen kann.

Nicht besser ist die allgemeine Lage im Land. Die Arbeitslosigkeit
lag im November 2013 bei 27 Prozent. Der Umsatz der Händler von Athen
ging nach Angaben ihres Verbandes im Durchschnitt der vergangenen
vier Jahre um fast 60 Prozent zurück. Während der Weihnachtszeit
wurde etwas mehr konsumiert. «Wir lagen aber fast 50 Prozent unter
dem Umsatz von 2009», sagt die Schuhhändlerin Sia Steliatou.

Es ist ein Teufelskreis: Arbeitslosigkeit und Entlassungen im
staatlichen Sektor führen zum Einbruch des Konsums. Dies wiederum
zwingt die Händler, Personal zu entlassen - neue Arbeitslose sind die
Folge. Sie haben weniger Geld als vorher und konsumieren daher auch
weniger. Damit schließt sich der Kreis.

Die Regierung spricht von ersten Anzeichen einer Besserung.
Finanzminister Ioannis Stournaras schätzt, dass die Wirtschaft 2014
erstmals seit vielen Jahren wieder wachsen wird - wenn auch nur um
0,6 Prozent. Das Euro-Krisenland steckt seit 2008 in einer tiefen
Rezession.

In vielen Geschäftsvierteln von Athen bietet sich ein trauriges
Bild. Entlang der traditionellen Einkaufsmeile Solonos ist nur etwa
jeder siebte Laden geöffnet. Nachts wirkt die einst belebte Straße
gespenstisch leer. In der «Stoá tou Vivlíou» (Arkade des Buches) im

Zentrum Athens trafen sich bis vor wenigen Jahren Schriftsteller,
Leser, Verleger - alle, die Rang und Namen in der Branche hatten.
Heute sind nur noch wenige Buchhandlungen geöffnet.

«Die EU-Ratspräsidentschaft? Ich pfeife drauf. Die wird mir außer

einigen Gästen mehr während der Sitzungen der Damen und Herren weiter
nichts bringen», sagt Neoptolemos Nikolau. Er besitzt eine der
bekanntesten Pizzerien Athens. «Die Lage hier ist schlimm.» Einige
Händler könnten nicht mehr regelmäßig Miete zahlen. Manche hätten
mit
den Vermietern vereinbart, dass sie nur dann Miete zahlen, wenn sie
auch Geld verdient haben. «Wir haben auch Fälle, in denen Vermieter
schon zufrieden sind, wenn der Händler die Immobiliensteuern
entrichtet, die der Ladenbesitzer zahlen muss», sagt Makler Dimitris
Vogiatzis.

Ob das für 2014 erhoffte Miniwachstum von 0,6 Prozent den Griechen
spürbar etwas bringen wird, ist nicht abzusehen. Zwar sank die
Arbeitslosenquote im dritten Quartal minimal und für das kommende
Jahr rechnet die Regierung mit einem weiteren leichten Rückgang. Doch
egal, mit wem man in Athen spricht, die Antwort lautet praktisch
immer gleich: 2014 werde das Jahr der «Entscheidung» für
Griechenland. Entweder gehe es aufwärts oder es komme zu einer
sozialen Explosion.

Gespannt blicken viele auf den 25. Mai. Das Ergebnis der
Europawahl in Griechenland könnte einschneidende Folgen haben. Sollte
das oppositionelle Bündnis der radikalen Linken (Syriza) die Wahl
gewinnen, werde die Koalitionsregierung aus Konservativen und
Sozialisten unter Regierungschef Antonis Samaras nicht lange Bestand
haben, lautet die übereinstimmende Einschätzung politischer
Beobachter in Athen. Der linke Oppositionschef Alexis Tsipras spricht
bereits vom Ende einer Ära. Der linke Flügel seiner Partei liebäugelt

mit einem Austritt aus der Eurozone.

Gefahr droht der griechischen Demokratie von der «Goldenen
Morgenröte». In ihrer Verzweiflung erhoffen sich viele Menschen einen
Ausweg aus der Verelendung von der rechtsradikalen, rassistischen
Partei. Sie ist in allen Umfragen drittstärkste politische Kraft.