Kurios und teils absurd: Die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze
27.02.2014 16:14
Berlin (dpa) - Absurd, verwirrend und kaum nachvollziehbar: Die
Regeln zu den unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen von 7 und 19
Prozent sorgen regelmäßig für Ärger. Doch die Politik schreckt seit
Jahren davor zurück, das Steuerdickicht zu lichten. Zu groß ist die
Furcht aller Parteien vor Protesten der vielen Lobbygruppen.
Für etwas Klarheit sorgen allenfalls Richter: Der Europäische
Gerichtshof (EuGH) hält eine steuerliche Bevorzugung von Taxen
gegenüber Mietwagen mit Fahrer unter bestimmten Bedingungen für
möglich. Zuvor hatten die Luxemburger Richter die Vergünstigung beim
Verkauf von bestimmten Pferden, etwa für Rennen, gekippt. Sie hatten
auch entschieden, dass Popcorn oder Nachos in Kinos dem ermäßigten
Satz unterliegen. Der Bundesfinanzhof pochte auf einheitliche
Steuerregeln für Speisen an Imbissbuden.
Der reduzierte Mehrwertsteuersatz wurde 1968 eingeführt. Produkte,
die dem Gemeinwohl dienen und für das Existenzminimum nötig sind,
sollten dadurch privilegiert werden. Dabei geht es beispielsweise um
Lebensmittel, Bücher oder Zeitungen, aber auch Leistungen im
Nahverkehr oder Kulturangebote. 75 Prozent der ermäßigten Artikel
sind Lebensmittel. Der Staat lässt sich das jährlich etwa 23
Milliarden Euro kosten. Mit dem einstigen Ansatz haben die
Steuervergünstigungen aber oft nichts mehr zu tun, wie einige
skurrile Beispiele zeigen:
Esel ist nicht gleich Esel: Der ermäßigte Steuersatz etwa gilt für
Kreuzungen zwischen Eselhengst und Pferdestute (Maultier) sowie
Pferdehengst und Eselstute (Maulesel). Der ermäßigte Satz ist auch
für reinrassige Esel fällig, aber nur für geschlachtete. Schließlic
h
wird «Fleisch von Pferden, Eseln, Maultieren oder Mauleseln, frisch,
gekühlt oder gefroren» begünstigt, wie es in Vorgaben heißt. Für
lebende «Hausesel und alle anderen Esel» gilt der volle Steuersatz.
Genießbare getrocknete Schweineohren unterliegen dem ermäßigten
Satz. Getrocknete Schweineohren, die nicht für den menschlichen
Verzehr geeignet sind, werden dagegen voll besteuert.
Andere Kuriositäten: Ermäßigte Steuer für Hausschweine, normaler
Satz für Wildschweine - und Flusspferde; ermäßigter Satz für
Kartoffeln aller Art, Regelsatz für Süßkartoffeln; ermäßigter Sat
z
für Tomatenmark und -saft, normaler Satz für Tomatenketchup und -
soße. Oder: Pilze und Trüffel, ohne Essig haltbar gemacht: ermäßigt
;
Pilze und Trüffel, mit Essig haltbar gemacht: normaler Satz.
Katzenfutter oder Hundekekse werden staatlich gestützt, bei
Babynahrung und Kinderkeksen dagegen langt der Fiskus voll zu.
Gänseleber, Froschschenkel, Wachteleier, oder Riesengarnelen werden
mit sieben Prozent besteuert, Mineralwasser mit 19 Prozent.
Nicht weniger grotesk: Frisches Obst und Gemüse werden begünstigt,
ebenso Püriertes und Eingekochtes. Das ändert sich bei Gepresstem:
Bei Frucht- und Gemüsesäften gilt der volle Steuersatz.
Kompliziert wird es, wenn Islandmoos (Cladonia rangiferina,
silvatica und alpestris) begünstigt wird, nicht aber Isländisches
Moos (Cetravia islandica). Wird ein Adventskranz aus Frischmaterial
geflochten statt aus Trockenpflanzen, sind 7 Prozent fällig. Und:
«Trockenmoos wird durch Anfeuchten nicht wieder zu frischem Moos.»