Es brodelt in Europa - Rechte mit Anti-EU-Parolen auf Vormarsch Von Yuriko Wahl-Immel, dpa
18.03.2014 14:15
Die Rechtsaußen-Parteien gehen mit Anti-EU-Parolen auf Stimmenfang.
Ihnen werden bei der Europawahl große Zuwächse vorausgesagt. Experten
warnen: Der Teich, in dem die Rechtsextremen fischen, wird größer.
Köln (dpa) - Rechtsaußen-Parteien rüsten sich für die Europawahl
-
und gehen mit Anti-EU-Parolen auf Stimmenfang. Experten warnen vor
deutlichen Gewinnen für Rechtspopulisten und rechtsextreme Parteien
im Mai. Punkten wollten sie mit bissiger Kritik an Europäischer Union
und Euro, die bis hin zu sofortigen Ausstiegsforderungen reiche, sagt
Nicholas Startin von der britischen Universität Bath auf einer
internationalen Tagung in Köln. Für einige sei «die Opposition
gegenüber der EU Teil ihrer DNA». Andere hätten ihre einst
pro-europäische Haltung aus strategischen Gründen über Bord geworfen.
Weitere Feindbilder vieler radikal Rechter: Muslime und Zuwanderer.
Der Ausblick der Wissenschafter gut zwei Monate vor der Wahl des
Europäischen Parlaments ist wenig ermutigend. Auch aus Italien,
Dänemark und den Niederlanden - Rechtspopulisten waren dort an
Regierungen beteiligt oder kooperierten als Mehrheitsbeschaffer -
heißt es: «Es gibt Gründe, sehr besorgt zu sein.» Parteienforscheri
n
Sarah L. de Lange von der Uni Amsterdam meint: So wie die «Partei für
die Freiheit» von Islamgegner Geert Wilders den niederländischen
Mainstream-Parteien indirekt eine verschärfte Migrations- und
Integrationspolitik aufgezwungen habe, könne eine erstarkte Rechte
auch in Straßburg Themen und Debatten beeinflussen.
Gravierende Auswirkungen und Einschränkungen für Minderheiten in
Europa befürchtet Rune Larsen aus Kopenhagen. Die Dänische
Volkspartei, die Ausländer als «Ratten» und Muslime als «Parasiten
»
beleidige, könne Ende Mai laut Umfragen mit 24 Prozent Zustimmung
rechnen, warnt der Vorstand eines Netzwerks gegen Rassismus. «Jeder
muss jetzt deutlich seine Stimme dagegen erheben».
Fakt ist: Die Zustimmung für Parteien am rechten Rand ist in
einigen EU-Ländern stark gestiegen. Ihnen werde nun ein
«einschneidender Wahlerfolg» vorausgesagt, betont die Bundeszentrale
für politische Bildung auf ihrer Tagung. Führende Europapolitiker
beobachten diesen Vormarsch mit Bauchschmerzen.
Wie ist es in Deutschland? Das Abschneiden der rechtsextremen NPD,
der Republikaner und der eurokritischen Alternative für Deutschland
(AfD) wird scharf beäugt. Ihre Chancen seien enorm gewachsen, seitdem
das Bundesverfassungsgericht die Drei-Prozent-Hürde in Deutschland
gekippt habe, meint Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit. Schon
rund ein Prozent der Stimmen würde für einen Sitz reichen.
Kostprobe aus den Wahlkampf-Parolen der NPD, gegen die beim
Bundesverfassungsgericht derzeit ein Verbotsverfahren läuft: Die EU
wird als «Völkergefängnis», Brüssel als «Apparat der
Völkerunterdrückung» verunglimpft. Auch die Republikaner wollen sich
mit einem offenen Anti-EU-Wahlkampf profilieren. Die AfD - am
Wochenende hat sie ihren Europa-Bundesparteitag - lehne die EU nicht
so radikal ab, erklärt Speit. Es sei aber vieles in der Schwebe. Er
erwarte einen Rechtsruck.
Dagegen sagt der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker schon
das Ende der AfD voraus. «Sie wird natürlich jetzt bei der Europawahl
einen Erfolg haben.» An den internen Querelen über ihren Kurs werde
sie aber über kurz oder lang zugrunde gehen. Eine «offen
rechtspopulistische Konzeption» und eine «konservativ-liberale,
nationale Ausrichtung» seien nicht dauerhaft vereinbar.
Die extreme Rechte nutzt Unmut und schwindende Zustimmung für die
EU bei vielen Bürgern. Cas Mudde von der US-Universität Georgia
beschreibt das so: «Der Teich, in dem die Rechtsextreme fischen, wird
größer.» Und: Weil auch manche etablierte Partei Euroskeptiker
gewinnen wolle, «fischen hier auch Mainstream-Parteien.»
Je mehr aber Etablierte Themen der radikal Rechten aufgriffen, um
ihnen das Wasser abzugraben, desto stärker mache das «undemokratische
Haltungen salonfähig», warnt Beate Küpper von der Hochschule
Niederrhein. Der extremen Rechten gehe es um eine «Ideologie der
Ungleichwertigkeit». Gruppen wie Zuwanderer, Muslime, Roma,
Flüchtlinge oder Homosexuelle würden abgewertet.
Viele Hoffnungen richten sich darauf, dass die Rechten im
Europaparlament untereinander streiten werden. Es sei allerdings auch
möglich, dass sich eine rechtsextreme Fraktion im Europaparlament
etabliere. Treibende Kraft: die französische Nationale Front, der
Vlaams Belang in Belgien, die österreichische FPÖ und Wilders Partei.
US-Experte Mudde glaubt, dass rechtsextreme Parteien aus 13
Ländern ins Parlament einziehen. In 18 der 28 EU-Staaten gebe es
relevante rechtsextreme Gruppierungen. Es wird spannend im Mai. Mudde
betont: Nie zuvor habe die extreme Rechte vor einer Wahl so viel
Aufmerksamkeit in Europa und den USA erregt wie aktuell.