Vor der Europwahl: Lichtblick und Ängste in Athen Von Takis Tsafos, dpa
08.05.2014 08:46
Die Uhr tickt. Die griechische Wirtschaft weist zwar die ersten
Zeichen der Genesung auf. Doch das Volk merkt davon nichts. Die
Europawahl ist von entscheidender Bedeutung für das Land.
Athen (dpa) - In Athen macht niemand einen Hehl daraus: Die
Europawahl am 25. Mai wird wegen der dramatischen Wirtschaftskrise
und ihrer Folgen wenig mit Europa und ganz viel mit den
innenpolitischen Entwicklungen in Griechenland zu tun haben. Und sie
wird von entscheidender Bedeutung für die Zukunft des
pleitebedrohten Landes sein.
Die wirtschaftliche Lage ist widersprüchlich: Einerseits zeigen die
Zahlen, dass das Land auf dem Weg der Besserung ist. Dieses Jahr soll
es erstmals nach 2008 wieder ein marginales Wachstum von 0,6 Prozent
geben. Der Tourismus blüht auf. Vor wenigen Wochen konnte Athen
wieder an die Märkte gehen: Es sammelte bei privaten Anlegern drei
Milliarden Euro mit einer fünfjährigen Laufzeit und einem den
Umständen entsprechend niedrigen Zinssatz von 4,75 Prozent ein. Und
internationale Unternehmen wollen wieder in Griechenland
investieren.
Andererseits aber merken die Griechen davon so gut wie nichts. Die
Arbeitslosigkeit liegt bei knapp 27 Prozent. Zehntausende sind auf
die Hilfe humanitärer Organisationen angewiesen, weil sie nicht mehr
versichert sind. Die Kirche «füttert» fast eine Viertelmillion
Menschen mit Suppenküchen und Lebensmitteln durch.
«Es ist leicht, eine Firma zu schließen und etwa 30 Leute zu
entlassen. Es ist aber sehr schwierig, sie wieder aufzumachen», sagt
Neoptolemos Nikolaou, ein Kleinunternehmer im Zentrum Athens. Er
weiß, wovon er redet und kennt die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Noch
vor wenigen Jahren hatte er eine Kette mit mehreren Eisdielen im
Land. Jetzt, nach der Krise, gehört ihm nur mehr eine Pizzeria in
Athen. «Nach der Pleite arbeitest Du mit zwei bis drei
Angestellten im neuen Betrieb und überlegst es Dir lange, bevor
Du noch jemanden einstellst», erzählt Nikolaou.
Die griechischen Parteien stehen bei der Wahl am 25. Mai vor einem
großen Dilemma: Sollen sie das Spar- und Reformprogramm fortsetzen
oder lieber für radikale Maßnahmen wie einen Schuldenschnitt und
notfalls auch eine einseitige Einstellung der Schuldentilgungen
plädieren? Der linke Oppositionsführer Alexis Tsipras hat es bereits
klar gesagt: Für ihn ist die Europawahl eine Art Referendum. Gewinnt
sein Bündnis der radikalen Linken (Syriza) die Wahl, könne die
Koalitionsregierung aus Konservativen und Sozialisten in Athen unter
Regierungschef Antonis Samaras «einpacken». Er will dann vorgezogene
Parlamentswahlen fordern. Analysten fürchten, dass Griechenland in
dem Fall in eine lange Phase der Regierungslosigkeit stürzen könnte.
Athen ist wirtschaftlich wie politisch noch nicht aus dem Schneider.
Der konservative Regierungschef Antonis Samaras und sein
sozialistischer Koalitionspartner Evangelos Venizelos werben für die
Fortsetzung der Sparpolitik und der Bemühungen um eine Modernisierung
des Staates. Griechenland stehe kurz davor, wieder ein «normaler»
Staat zu werden, versichert er. Das Land habe vier Jahre lang
gelitten. Jetzt sei Griechenland über dem Berg und man dürfe nichts
riskieren. Samaras macht den Griechen zugleich Mut: «Wir entfernen
uns langsam von der Krise und legen die Fundamente für die Zukunft
des neuen Griechenlands», wiederholt er immer wieder.
Außer der Linken gibt es klar europafeindliche, populistische und
rechtsradikale politische Kräfte. Die rassistische Goldene Morgenröte
setzt trotz der Inhaftierung ihres Führungskaders ihre rechtsradikale
Politik fort. Die populistischen Unabhängigen Griechen wollen die
gesamte Schuldentilgung einstellen. Eine neue, von einem Journalisten
gegründete liberale Partei unter dem Namen Der Fluss schneidet in
allen Umfragen gut ab und könnte - trotz eines bislang nur diffusen
Programms - mit sieben Prozent sogar drittstärkste Kraft werden.