(KORR-Bericht) Zwei Sieger und ein Posten - Groko vor hartem Poker Von Georg Ismar und Kristina Dunz, dpa

25.05.2014 19:36

Die Union gewinnt mit einem Dämpfer die Europawahl. Die SPD hat nach
langer Durststrecke wieder was zu feiern. Nun stehen harte Gespräche
der drei Parteichefs an, wer was in der EU-Kommission bekommen soll.

Berlin (dpa) - Sigmar Gabriel wählt gern große Worte. «Das ist der
größte Zugewinn, den die SPD jemals bei einer deutschlandweiten Wahl
erzielt hat», ruft der SPD-Chef den Anhängern zu. Als er mit Martin
Schulz um 18.31 Uhr die Bühne im Willy-Brandt-Haus betritt, schallt
es laut: «Martin, Martin!» Dem europaweiten SPD-Spitzenkandidaten
wird das überraschend gute Ergebnis von über 27 Prozent zugerechnet.
So viel Jubel gab es bei der SPD schon lange nicht mehr an einem
Wahlabend.

Gabriel erinnert Kanzlerin Angela Merkel schon einmal daran, dass nur
ein Spitzenkandidat, der zur Wahl gestanden hat, nächster
EU-Kommissionspräsident werden kann. Gabriel setzt auf Schulz.
Zeitgleich erntet der deutsche CDU-Spitzenkandidat David McAllister
tosenden Beifall, als er sagt: «Jean-Claude Juncker ist auf gutem
Weg, Kommissionspräsident zu werden.» Er ist der Spitzenkandidat
aller konservativen Parteien in Europa. Beide müssen sich nun um eine
Mehrheit im Europaparlament kümmern, Schulz reist nach seinem
Auftritt daher sofort nach Brüssel.

Gabriel hat mit harschen Worten («Volksverdummung») davor gewarnt,
wieder den EU-Kommissionschef im Hinterzimmer zu küren, dann könne
man sich die nächste Europawahl schenken. Daran wird er gemessen
werden. Auch wenn das auf Juncker hinauslaufen kann.

Ihr offiziell ausgegebenes Ziel hat die Union erreicht: Sie ist in
Deutschland deutlich stärkste Kraft geworden. Dennoch ist das
Ergebnis für CDU und CSU eine herbe Enttäuschung. Nach den 41,5
Prozent bei der Bundestagswahl 2013 hatten sich viele in den beiden
Schwesterparteien zunächst ein «40 plus x» erhofft. Schon länger
dämmerte den Unionisten, dass das nichts wird. Doch Mit dem wohl
schlechtesten Abschneiden von unter 37 Prozent seit der ersten
Europawahl 1979 hatte wohl niemand in der Union gerechnet.

Als die Prognose bei der Wahlparty in der CDU-Parteizentrale eingeht,
herrscht: Schweigen. Einige Kilometer im Willy-Brandt-Haus dagegen
Begeisterung, als der schwarze Balken der Union bei der 36 vor dem
Komma stehen bleibt. Der satte SPD-Zugewinn dürfte nun die
Verhandlungen der Koalitionäre über die Spitzenposten in der nächsten

EU-Kommission erschweren.

Und für die CSU dürfte es ein Schock sein, wenn das Endergebnis die
eurokritische Alternative für Deutschland (AfD) tatsächlich
bundesweit vor der Partei von CSU-Chef Horst Seehofer sieht.

Das Ergebnis könnte aber auch ein Dämpfer für die CDU-Vorsitzende
Merkel sein. Hohe Parteifunktionäre schütteln zwar mit dem Kopf.
«Nein», heißt es energisch am Abend im Konrad-Adenauer-Haus. Aber
eine Begründung fällt ihnen nicht auf Anhieb ein, denn die
Christdemokraten hatten ihren Europawahlkampf auf Merkel
zugeschnitten. Vor allem ihr Gesicht wurde plakatiert. Dabei stand
die Kanzlerin gar nicht zur Wahl. CDU-Generalsekretär Peter Tauber
sagt: «Es ist zu früh, einzelne Details anzuschauen.»

Die SPD sei mit einem deutschen und europaweiten Spitzenkandidaten im
Vorteil gewesen, lauten Erklärungsversuche bei der Union. Und der
Wegfall der Drei-Prozent-Hürde wird genannt. Hier hätten Wähler
vielleicht zum Beispiel der Tierschutzpartei ihre Stimme gegeben - im
Wissen, dass sie nicht verschenkt ist. Verluste von einigen
Prozentpunkten für ihre Partei dürften Merkel international aber kaum
schaden. In Europa gilt sie unbestritten als stärkste und mächtigste
Kraft.

Einen Schrecken jagt die FDP der Union ein. Mit nur rund 3 Prozent
(2009: 11 Prozent) schwinden Hoffnungen auf eine Wiederauflage von
Schwarz-Gelb im Bund weiter. Viele FDP-Anhänger hätten diesmal die
AfD gewählt, wird bei der Union analysiert - eine Partei, die CDU und
CSU noch zu schaffen machen könnte.

Die SPD hingegen hat erstmals, seitdem Willy Brandt 1979 in das
Europaparlament einzog (Ergebnis: 40,8 Prozent), wieder bei einer
Europawahl zugelegt, 2009 war mit 20,8 Prozent der Tiefpunkt
erreicht. Auch das Bundestagswahlergebnis von 25,7 Prozent wurde nun
übertroffen. Für das Arbeiten in der großen Koalition könnte der
Zugewinn hilfreich sein. Bei einem schlechten Ergebnis hätte Unruhe
in der SPD das Regieren für Merkel erschweren können.

Da es ein Merkmal der Koalition ist, dass Merkel, Seehofer und
Gabriel alles Wichtige unter sich regeln, treffen sie sich an diesem
Montagabend wieder unter sechs Augen. Sie müssen eine gemeinsame
Linie für den Poker in Brüssel finden. Keine leichten Gespräche -
gerade nach Gabriels klarer Ansage in Sachen Kommissionschef.