Der Papst in Straßburg - «Europa aus der Schläfrigkeit wecken» Von Petra Klingbeil und Hanns-Jochen Kaffsack, dpa

24.11.2014 10:39

Blitzbesuch des Papstes in Straßburg. Doch nicht Frankreich gilt die
erste Reise des Franziskus in ein EU-Land, sondern Europa. Zwei Reden
hält der Argentinier in Windeseile vor Europas Institutionen.

Straßburg (dpa) - Es wird eine der kürzesten Auslandsreisen eines
Papstes. Dennoch bringt Franziskus gewichtige Argumente und
Forderungen in seinem Gepäck mit, wenn er an diesem Dienstag in
Straßburg landet. Gleich zwei Reden - vor dem Europa-Parlament und
dem Europarat - stehen auf seinem Programm. Keine Messe und kein
Mittagessen. Nach 3 Stunden und 50 Minuten hebt sein Flieger wieder
in Richtung Rom-Ciampino ab.

Zurücklassen dürfte der Argentinier, ein Mann unverblümter Ratschlä
ge
und kritischer Worte, eine Reihe klarer Signale an die dort
versammelten Europapolitiker. Als moralische Macht bekommt Franziskus
Gehör, nicht als Staatschef mit Armee und Wirtschaftskraft im Rücken,
erinnerte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi. Der
Friedensnobelpreisträger EU will hören, was der Papst zu sagen hat.

Franziskus hat noch kein EU-Land außerhalb Italiens besucht, und die
Stippvisite des katholischen Kirchenoberhaupts in Straßburg gilt auch
nicht Frankreich, sondern ausdrücklich Europa. Es ist ein offizieller
Antrittsbesuch bei den Abgeordneten der Europäischen Union, wenn man
so will, keine Apostolische Reise.

«Straßburg ist Papst Franziskus also keine Messe wert?», fragte der
Pariser «Figaro» und mäkelte: «Dieses offensichtliche Desinteresse

des argentinischen Papstes, was Frankreich angeht, sagt sehr viel aus
über das nun in Rom herrschende Klima.» Prompt kündigte der so
gescholtene Vatikan einen Besuch des Pontifex in Paris und im
Wallfahrtsort Lourdes im kommenden Jahr an.

Die Kirchenoberen in Straßburg sehen also ihre Hoffnung enttäuscht,
den Argentinier im Straßburger Münster begrüßen zu dürfen. Eine
Kathedralen-Visite von Franziskus hätte gut zu den Feierlichkeiten
zur Grundsteinlegung der Kathedrale vor 1000 Jahren im kommenden Jahr
gepasst. Als Trostpflaster bleibt den Gläubigen die Übertragung der
päpstlichen Reden auf zwei Riesenleinwände auf dem Münsterplatz.

Umso mehr freuen sich vor allem die Abgeordneten der Europäischen
Volkspartei (EVP) darüber, dass der erste Besuch des 77-jährigen
Papstes «vom anderen Ende der Welt» (Franziskus über seine Herkunft)

bei europäischen Institutionen den Parlamentariern gilt. «Er kommt an
jenen Ort der Demokratie Europas, wo die Menschen Europas vertreten
werden», sagt der Chef der Christdemokraten dort, Manfred Weber.

Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) ist mit der erfolgreichen
Einladung gelungen, was ein Herzenswunsch des früheren
CDU-Parlamentspräsidenten Hans-Gert Pöttering (2007-2009) war. Er
hatte damals Papst Benedikt XVI. ins Parlament geladen, allerdings
vergeblich. Schulz schlug Franziskus den Besuch im vergangenen Jahr
vor, bei einer Audienz in Rom im Oktober 2013.

«Europa aus der Schläfrigkeit wecken», so bringt es Schulz in der
Vatikanzeitung «L'Osservatore Romano» auf den Punkt, was er vom Papst
erwartet. Dass Franziskus seine erste Reise auf die Flüchtlingsinsel
Lampedusa, also an den Rand Europas, gemacht hatte, ist nicht nur für
Schulz bedeutsam. Die rechte Hand des Papstes, Kardinalstaatssekretär
Pietro Parolin, hebt als ein Leitthema für Straßburg ebenfalls die
Solidarität gegenüber den Migranten hervor, aber auch die Bewahrung
der Schöpfung. Das bedeutet weltlich gesprochen: Schutz der Umwelt.

Es ist schon gut 26 Jahre her, dass Johannes Paul II. als bisher
einziger Papst vor dem Europaparlament gesprochen hat. Er besuchte
damals, am 8. Oktober 1988, auch den Europarat. Der Heilige Stuhl hat
seit 1970 Status als Beobachter in der Staatenorganisation mit 47
Mitgliedsländern.

Gegen den Krieg im Osten, für ein soziales und solidarisches Europa,
für ein Wiederaufblühen des christlichen Glaubens in einer reichlich
uninteressierten Alten Welt - das sind einige Akzente aus der Sicht
des ersten lateinamerikanischen Papstes. Franziskus baut aber mehr
auf die Weltkirche als auf die religiöse Tradition Europas.

Kardinal Reinhard Marx, Präsident der EU-Bischofskommissionen,
erwartet von dem päpstlichen Auftritt trotzdem «ein starkes Signal
zur Unterstützung und Ermutigung des Einigungsprozesses in Europa».