Zwangsstopp an der Grenze: Flüchtlinge in Idomeni wollen Klarheit Von Gregor Mayer, dpa

07.03.2016 14:59

Macht die EU die sogenannte Balkanroute endgültig zu? Die Flüchtlinge
im Norden Griechenlands würden dann auf der Strecke bleiben. Manche
halten das immer noch für besser als die zermürbende Ungewissheit -
wenn denn ihre Chance auf Asyl in Deutschland gewahrt bleibt.

Idomeni (dpa) - Sie kommen zu Fuß, schleppen ihre Habseligkeiten auf
dem Rücken, tragen ihre Kleinkinder auf den Schultern: Der Strom von
Flüchtlingen in das nordgriechische Grenzörtchen Idomeni reißt auch
am Montag nicht ab. In kleinen Gruppen ziehen sie auf dem letzten
Kilometer durch Felder und Wiesen zum Flüchtlingslager unmittelbar an
der Grenze zu Mazedonien. Diese Grenze ist weithin sichtbar: Ein
hoher Zaun mit Stacheldraht markiert ihren Verlauf.

Im Lager ist schon längst kein Platz mehr für die Menschen. Angelegt
wurde es für 2000 Durchreisende. Doch inzwischen sind mehr als 10 000
dort - und Mazedonien ließ zuletzt nur noch höchstens 250
Asylsuchende am Tag das Metalltor im Zaun passieren.

Die Neuankömmlinge campieren auf den Feldern vor dem Lager. Wer kein
eigenes Zelt hat, kann eines für 40 Euro von einem mobilen Händler
erstehen. «Für vier Personen», versichert dieser. In Wirklichkeit
dürfte vielleicht ein Ehepaar mit zwei kleinen Kindern mit Müh und
Not darin Platz finden.

Mit mehr als 13 000 Menschen beziffert Babar Baloch, ein Sprecher des
UN-Hilfswerks UNHCR, am Montag die Zahl derjenigen, die in Idomeni
festsitzen. Weitere 1000 verteilen sich nach Schätzung von
Hilfsorganisationen auf Pensionen und leerstehende Gebäude in der
Umgebung. Jeden Tag kommen rund 2000 Menschen dazu. Der Rückstau in
Idomeni nimmt gefährliche Ausmaße an.

«Das ist eine humanitäre Krise», meint Baloch. «Viele Menschen lebe
n
jetzt seit mehr als einer Woche im Freien. Wir haben stark
schwankende Außentemperaturen, vor allem Kinder verkühlen sich und
werden krank.» Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge - rund 55 Prozent

laut UNHCR-Angaben - sind inzwischen Frauen und Kinder. In ganz
Griechenland waren es im Februar sogar 62 Prozent.

Bis direkt an den Grenzzaun drängen sich die Mini-Zelte der
Flüchtlinge. Am Grenztor, wo die Übertritte nach Mazedonien
abgewickelt werden, gibt es eine abgetrennte Zone. Dort sitzen
jene «Glücklichen», die nach einem komplizierten System der
Vorregistrierung durch die griechische Polizei als nächste drankommen
würden. Am Montag öffnet sich aber das Grenztor bis zum Nachmittag
kein einziges Mal. Es ist der Tag, an dem die EU-Chefs in Brüssel
Beschlüsse fassen wollen über die Zukunft der Balkanroute, über das
Ende des «Durchwinkens»  bis nach Deutschland.

Die Syrerin Intisad (28) aus der kriegsverwüsteten Stadt Aleppo ist
darüber im Bild. Drei Tage harre sie bereits hier aus, in der Zone am
Tor, erzählt sie. Ihre kleine Tochter hält sie fest auf dem Schoß.
«Bitte, Europa, entscheide!», sagt sie fast flehentlich. «Wir möcht
en
endlich wissen: Haben wir eine Chance, hier durchzukommen, oder haben
wir sie nicht?» Der anhaltende Zustand der Ungewissheit sei
unerträglich.

Der 26-jährige Ibrahim, auch er aus Aleppo stammend, hat es noch
nicht einmal bis zur Vorregistrierung und damit zur Wartezone vor dem
Grenztor geschafft. Vor anderthalb Jahren war er zunächst in die
Türkei geflohen, weil «ich nicht Soldat werden und andere Menschen
umbringen wollte». Die Zustände in Idomeni erinnern ihn an das Elend
im syrisch-türkischen Grenzgebiet. Sorgen bereitet ihm der Gedanke,
dass sich das Grenztor zur Balkanroute nach dem Brüsseler Gipfel
faktisch schließen könnte. 

Welche Optionen bleiben dann einem wie Ibrahim? «Ich werde mich für
Hilfe an die Vereinten Nationen wenden», sagt er. Möglicherweise wird
man Menschen, die in so großer Zahl in Griechenland festsitzen, am
Ende doch über die EU verteilen. Zumindest ist es diese Hoffnung, an
die sich der junge Syrer klammert. Angesichts der derzeitigen
Aufnahmebereitschaft in Deutschland und anderswo würde es an ein
Wunder grenzen, wenn sich diese Hoffnung erfüllte.