Boris Johnson: Karriere auf dem Rücken der EU Von Christoph Meyer und Roland Siegloff, dpa
29.06.2016 12:12
Boris Johnson war das Gesicht der Brexit-Kampagne. Nun will der
populäre Ex-Bürgermeister von London nach dem Amt des Premiers
greifen. Doch in seiner Partei hat er viele Feinde.
London (dpa) - Boris Johnson hat der Europäischen Union viel zu
verdanken. Immer wenn er sich an ihr abarbeitete, wurde er dafür
belohnt. Als Korrespondent für die Tageszeitung «Daily Telegraph»
machte er sich in den neunziger Jahren einen Namen mit kritischen,
oft überzogenen Berichten über Brüssel. Im Wahlkampf vor dem
EU-Referendum wurde er zum Wortführer der Brexit-Kampagne. Nach dem
Austrittsvotum der Briten hat der 52-Jährige nun gute Chancen,
Großbritanniens nächster Premierminister zu werden.
Ob Johnson selbst damit gerechnet hat, dass es zum Brexit kommt, ist
umstritten. Manch einer glaubt, Johnson habe darauf gesetzt, dass die
EU-Befürworter knapp gewinnen. Dann hätte Premierminister David
Cameron sein Kabinett wohl umgebildet, um die zerstrittene Partei
wieder zu versöhnen. Johnson, der bislang außer dem Bürgermeisteramt
in London keinen wichtigen politischen Posten innehatte, hätte auf
ein wichtiges Ressort hoffen dürfen. Er wäre ein aussichtsreicher
Kandidat für das Amt des Premiers bei der Parlamentswahlen 2020
gewesen.
Noch in der Brexit-Wahlnacht hatten Johnson und 83 andere
Tory-Abgeordnete einen Brief unterzeichnet, in dem sie Cameron dazu
ermutigten, im Amt zu bleiben - egal wie die Abstimmung ausgehen
sollte. Doch Cameron wollte sich nicht auch noch vor den Karren
seiner Gegner spannen lassen und kündigte seinen Rücktritt an. Als
Wortführer der Brexit-Kampagne wäre Johnson nun der naheliegendste
Nachfolger.
Doch nicht jeder in der konservativen Partei will Alexander Boris de
Pfeffel Johnson, wie der Mann mit vollem Namen heißt, zum Premier
haben. «Anyone but Boris» - «Jeder außer Boris»: Unter diesem M
otto
fand sich schon vor Längerem eine Gruppe von Abgeordneten zusammen,
um den strubbeligen Blondschopf zu stoppen. Im Gerangel um die
Nachfolge Camerons scharen sich die Boris-Gegner nun hinter
Innenministerin Theresa May, die als schärfste Konkurrentin Johnsons
gilt.
Doch am Ende entscheiden die Parteimitglieder. Und bei denen kann
Johnson auf breite Unterstützung hoffen. Er hat die Kampagne der
Brexit-Befürworter mit markigen Sprüchen und vollmundigen
Versprechungen beinahe im Alleingang geführt.
Anders als David Cameron hat Johnson das Talent, den einfachen Mann
anzusprechen. Er schneidet Grimassen, flucht, stolpert, stürzt und
pöbelt. Doch das ist nur Show, Johnson gehört genau wie Cameron zum
Establishment. Beide gingen auf das Elite-Internat Eton. Sie kennen
sich aus gemeinsamen Studienzeiten in Oxford. Auch Johnsons
Strubbelfrisur gehört zu dieser Marke. Journalisten wissen: Immer
wenn er eine Kamera sieht, fährt er sich hastig durch die Haare, um
noch chaotischer auszusehen.
Zu seinen verwegensten Argumenten im Brexit Wahlkampf gehörte die
Behauptung, Großbritannien würde künftig pro Woche 350 Millionen
Pfund (umgerechnet 423 Millionen Euro) an EU-Mitgliedsbeiträgen
einsparen können. Er verschwieg dabei, dass das Königreich bereits
jetzt einen erheblichen Teil der Summe von der EU wieder
zurückerhält.
Dass er es mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt, musste
Johnson auch schon einmal teuer bezahlen. Seinen ersten Job als
Journalist bei der renommierten Tageszeitung «The Times» verlor er,
weil er ein Zitat verfälscht hatte. Doch wenn sich etwas wie ein
roter Faden durch Johnsons Biografie zieht, dann die Erkenntnis, dass
seine Fehltritte schnell in Vergessenheit geraten. Das
Konkurrenzblatt «The Telegraph» empfing ihn mit offenen Armen und
schickte ihn Ende der achtziger Jahre als Korrespondenten nach
Brüssel.
Brüssel-Veteranen erinnern sich, wie Johnson damals in häufig
überzogener Manier über echte und vermeintliche Missstände der
EU-Politik berichtete und damit die Europäische Union zum
Schreckgespenst machte. Er hatte damit großen Erfolg in seiner Heimat
und animierte wesentliche Teile der britischen Presse zu ähnlichen
Übertreibungen. Selbst die ehemalige Premierministerin Margaret
Thatcher soll ein Fan von Johnsons Texten gewesen sein. In gewisser
Weise hat Johnson den Boden für seine erfolgreiche Brexit-Kampagne
also selbst bereitet. Die Ernte kann er jetzt einfahren.