Wird der Tourismus ein Gewinner des Brexit-Votums? Von Silvia Kusidlo, dpa
14.07.2016 10:40
Im Riesenrad London Eye auf die Themse blicken oder durch blühende
Gärten im Süden streifen - Großbritannien hat vielfältige Reize. Da
s
Rekordtief des Pfunds könnte nun Folgen für den Tourismus haben.
London (dpa) - Wer in diesem Sommer nach Großbritannien reist, kann
sich die Hände reiben. Der Absturz des britischen Pfunds macht den
Aufenthalt dort billiger. Ein Lichtblick trotz der düsteren Prognosen
vieler Wirtschaftsexperten für die Zukunft des Landes? «Tourismus und
Freizeit können unter einem Brexit weiter wachsen», sagte Nick
Varney, Chef des Branchenverbands British Hospitality Association,
kürzlich auf einer Fachkonferenz in London.
Einerseits könnten die Briten Experten zufolge künftig mehr Urlaub im
eigenen Land machen. Andererseits locke der Absturz des Pfunds mehr
Gäste aus dem Ausland an, meint Varney. Das Pfund als Krisenbarometer
war nach der Entscheidung für einen Austritt aus der EU erstmals seit
1985 zeitweise unter die Marke von 1,28 US-Dollar gerutscht.
Anton Papenfuß aus Leipzig ist nach England gereist, um seinen Bruder
zu besuchen: «Der macht jetzt seine Ausbildung hier.» Er habe seine
Reise spontan gebucht, unabhängig vom Brexit-Votum, erzählt der
27-Jährige. Aber das stark unter Druck geratene Pfund könnte solche
Touren einfacher machen. «London ist extrem teuer.» Papenfuß weiß,
wovon er spricht. «Ich habe hier studiert und musste für einen sechs
Quadratmeter kleinen Raum umgerechnet 700 Euro zahlen.»
Eine Kanadierin findet den Gedanken, jetzt mehr fürs Geld in
Großbritannien zu bekommen, verführerisch. «Das kann mich
beeinflussen, dort mal wieder Urlaub zu machen», sagt die 19-Jährige
bei einem Zwischenstopp auf dem Londoner Airport Heathrow.
Ist denn in der Metropole an der Themse schon etwas von einem
vermehrten Gästeansturm in den vergangenen Wochen zu spüren? Ein
britischer Touristenführer winkt ab: «Hier in London wird sich nichts
ändern, hier ist doch schon jede Menge los!» Verwundert sei er aber,
wie viele Fragen vor allem die Besucher aus den USA zum Brexit
stellten. Auch eine Angestellte eines Budget-Hotels ist gelassen:
«Wir sind in den Sommermonaten sowieso immer ausgebucht.»
Großbritannien sei kein klassisches Reiseland wie Spanien mit seinen
Stränden, gibt Torsten Schäfer vom Deutschen Reiseverband zu
bedenken. «Es ist eher ein Städte-, Studien- und Rundreiseziel.» Mit
einer Ausnahme: «Bei den Kurzreisen der Deutschen ins Ausland landete
Großbritannien im vergangenen Jahr auf Platz 4 der Top Ten.»
London steht dabei hoch in der Gunst. 62 Prozent der Deutschen, die
2015 eine Kurzreise nach Großbritannien machten, wählten nach Angaben
der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen die Multi-Kulti-Stadt an
der Themse als Ziel. Niemand wisse, wie sich das britische Pfund
weiter entwickle und den Tourismus im Vereinigten Königreich
beeinflusse, betont Schäfer. «Letztlich ist das wie der Blick in die
Glaskugel.»
Und andersherum: Können sich künftig weniger Briten eine Reise nach
Deutschland leisten? Im vergangenen Jahr wurden laut Statistischem
Bundesamt 2,56 Millionen Ankünfte und 5,54 Millionen Übernachtungen
britischer Touristen in Deutschland registriert. «Das bedeute den
vierten Platz im Ranking der Top-Quellmärkte», sagt die
Vorstandsvorsitzende der Deutschen Zentrale für Tourismus, Petra
Hedorfer.
Die ersten drei Plätze gingen an die Niederlande, Schweiz und USA.
Die meisten Briten in Deutschland ziehe es nach Berlin - beliebt
seien aber auch München, Frankfurt und Hamburg. Die Folgen eines
Ausstiegs aus der EU seien noch nicht absehbar, meint Hedorfer.
Sollten die Briten tatsächlich in Zukunft genauer aufs Geld schauen
müssen, dürfte das nach Einschätzung des weltgrößten Reisekonzern
Tui
vor allem die Branche auf den Balearen und Kanaren, in Griechenland,
der Türkei und der Karibik zu spüren bekommen. Denn dorthin flögen
die Briten bisher am liebsten. So sind sie nach Medienberichten die
zweitgrößte Besuchergruppe in Griechenland und gaben dort in den
letzten zehn Jahren über 16 Milliarden Euro aus, wie ein griechischer
Fernsehsender meldete.