Private Chats im Büro - Wann der Chef mitlesen darf Von Claudia Kornmeier, dpa
05.09.2017 18:41
Über einen Messenger-Dienst beantwortete er Kundenanfragen, chattete
aber auch mit der Verlobten. Der Arbeitgeber führte Protokoll und
kündigte dem Mann - und ging damit zu weit.
Straßburg (dpa) - Abends vorm Schlafengehen Büro-E-Mails checken,
nachmittags zwischen zwei Terminen per WhatsApp den Feierabend
organisieren. Das eine ist mittlerweile für viele so
selbstverständlich wie das andere. Über welches WLAN die
Kommunikation läuft? Das hängt am ehesten davon ab, wo man gerade
ist. Abends ist es zu Hause die eigene Verbindung, tagsüber im Büro
die des Arbeitgebers. Die Grenzen verschwimmen.
Vor zehn Jahren waren die Grenzen noch nicht ganz so fließend. Es war
die Zeit der Klapphandys. Der Rumäne Bogdan Barbulescu machte schon
damals keinen Unterschied. Über einen Messenger-Dienst, bei dem er
sich auf Bitten seines Unternehmens angemeldet hatte, beantwortete er
Anfragen von Kunden. Er unterhielt sich aber auch mit der Verlobten
und dem Bruder über seine Gesundheit und sein Sexualleben. Für
Barbulescu hatte diese verschwommene Grenze die Kündigung zur Folge.
Der Rumäne versuchte zwar, die privaten Unterhaltungen abzustreiten.
Aber sein Arbeitgeber hatte mitgeschrieben - 45 Seiten private Chats.
Die interne Regel des Unternehmens war klar: «Es ist streng verboten
(...) Computer (...) zu privaten Zwecken zu nutzen.» Nicht so klar
war, ob der Mitarbeiter deshalb überwacht werden durfte.
Er durfte es nicht, entschied der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte am Dienstag in Straßburg und stellte eine Verletzung
des Rechts auf Privatsphäre fest. «Ein Lichtstrahl« sei dieses Urteil
für seinen Mandanten, freute sich Barbulescus Bukarester Rechtsanwalt
Emeric Domokos-Hancu. Es erkenne an, dass das Privatleben an der
Schwelle des Arbeitsplatzes nicht aufhöre. «Mehr noch, das Gericht
hat korrekterweise festgestellt, dass ein großer Teil der sozialen,
menschlichen, beruflichen ebenso wie der persönlichen Beziehungen am
Arbeitsplatz geboren werden», schrieb der Anwalt der dpa.
Wenn Unternehmen die Kommunikation ihrer Mitarbeiter überwachen
wollen, müssen sie sich an Regeln halten, heißt es in dem Urteil: So
müssen sie über die Möglichkeit und das Ausmaß von Kontrollen vorab
informieren. Außerdem brauchen sie einen legitimen Grund dafür und
müssen mildere Kontrollmaßnahmen sowie weniger einschneidende
Konsequenzen als etwa eine Kündigung prüfen. (Beschwerde-Nr.
61496/08)
Verurteilt wurde damit Rumänien. Als Mitglied des Europarats muss
sich aber auch Deutschland an die Vorgaben des Urteils halten, wenn
es keine eigene Verurteilung riskieren will.
Kriterien, wie sie der Menschenrechtsgerichtshof nun erstmals
formuliert hat, gab es hierzulande bisher nicht in diesem Detail. «In
Deutschland gibt es nur eine sehr rudimentäre Regelung des
Beschäftigtendatenschutzes», sagt Rechtsexpertin Marta Böning vom
Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). «Im Bundesdatenschutzgesetz.»
Darauf baue die Rechtsprechung auf.
Danach dürfen Arbeitgeber die private Nutzung des Internets während
der Arbeitszeit verbieten - zum Beispiel ausdrücklich in einem Anhang
zum Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung. Aber: «In
vielen Betrieben wird die private Internetnutzung über lange Zeit
einfach geduldet», sagt Böning. «Das ist dann eine konkludente
Erlaubnis.» Ob ausdrücklich oder konkludent: «Es geht immer um eine
geringfügige Nutzung, etwa während Pausen oder nach Feierabend», so
die DGB-Expertin. Also kein stundenlanges privates Surfen.
Kontrollen grenzte das Bundesarbeitsgericht im Juli 2017 in einem
konkreten Fall ein. Danach dürfen Unternehmen keine verdeckten
Spähprogramme einsetzen. Keylogger, die alle Tastatureingaben
heimlich protokollieren und Bildschirmfotos schießen, sind für eine
Überwachung «ins Blaue hinein» unzulässig.
Die Verlaufsdaten eines Internetbrowsers dürfen dagegen nach Ansicht
des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg für Kontrollen und
gegebenenfalls eine Kündigung verwendet werden. Höchstrichterlich
wurde die Frage noch nicht entschieden. Gibt es einen Betriebsrat,
habe dieser bei der Art und Weise der Kontrollen immer
mitzubestimmen, sagt Böning.
Am Ende plädiert die Rechtsexpertin zumindest für eine
unternehmensinterne Regelung. Gebe es die nicht, «laufen beide Seiten
Gefahr, dass es zu Missverständnissen kommt». Was dabei aus Sicht des
Menschenrechtsschutzes zu beachten ist, haben die Straßburger Richter
nun vorgegeben - auch für die Zeit nach den Klapphandys.