Brexit nächste Woche immer unsicherer Von Silvia Kusidlo, Michael Donhauser und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

21.10.2019 20:10

Wieder eine Schlappe für Boris Johnson im britischen Parlament:
Parlamentspräsident John Bercow hat entschieden, dass nicht am Montag
über Johnsons Brexit-Deal abgestimmt werden soll.

London/Brüssel (dpa) - Die Chancen des britischen Premierministers
Boris Johnson auf einen pünktlichen Brexit am 31. Oktober schwinden.
Das Unterhaus hat auch am Montag kein Votum über Johnsons neuen
Austrittsvertrag abgegeben, weil Parlamentspräsident John Bercow die
Abstimmung absetzte. Für den Regierungschef ist das eine weitere
Schlappe. Er muss nun das Gesetz zur Ratifizierung des Vertrags im
Eiltempo durchs Parlament bringen.

Erst danach will das Europaparlament seinerseits über das
Vertragswerk abstimmen. Das wird aber nicht mehr diese Woche
geschehen, wie die Parlamentsspitze am Montagabend in Straßburg
beschloss. «Das hat sich erledigt», sagte Linken-Fraktionschef Martin
Schirdewan. Denkbar sei eine Sondersitzung am Austrittstag 31.
Oktober, sofern der Vertrag in London rechtzeitig durchgehe und der
Brexit nicht verschoben werde.

Die britische Regierung wollte am Montag eine Grundsatzentscheidung,
ein sogenanntes Meaningful Vote. Damit wäre zumindest klar gewesen,
ob das Abkommen eine Mehrheit in dem total zerstrittenen Parlament
findet. Doch Bercow ließ das mit der Begründung nicht zu, eine
Vorlage gleichen Inhalts habe schon am Samstag zur Abstimmung
gestanden. Auch die Umstände hätten sich nicht geändert.

Am Samstag hatten die Abgeordneten ihr Votum vertagt, um die
Regierung zu einem Antrag auf Fristverlängerung bei der EU zu
zwingen. Den schickte Johnson am Wochenende auch zähneknirschend nach
Brüssel, allerdings mit der Ansage, den Brexit doch am gültigen
Termin 31. Oktober durchzuziehen. Entschieden werden dürfte über eine
Verlängerung erst, wenn mehr Klarheit in London herrscht.

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sagte dazu in Berlin: «Ich würde

nicht ausschließen, falls es in Großbritannien Probleme gibt mit den
Ratifizierungsschritten, dass es eine kurze technische Verlängerung
geben könnte.»

Das Ratifizierungsgesetz wurde am Montag ins Unterhaus eingebracht.
Nötig ist dafür ein Verfahren mit drei Lesungen in beiden
Parlamentskammern. Dabei könnten Änderungsanträge den Kern des
Abkommens verändern. Dann müsste eigentlich wieder mit der EU
gesprochen werden. Denn der Vertrag entspräche dann nicht mehr dem
Deal, den Johnson vergangene Woche in Brüssel ausgehandelt hatte.

Vereinbart wurde darin eine neue Lösung, wie die Grenze zwischen dem
EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland auch nach dem Brexit
offen bleiben kann. Zudem hält eine politische Erklärung fest, dass
sich Großbritannien auf längere Sicht nur lose an die EU bindet.

Nun wollen britische Abgeordnete aber beschließen lassen, dass ganz
Großbritannien mit dem Rest der EU zumindest für eine Übergangszeit
in einer Zollunion bleiben soll. Dies würde vor allem bei
Brexit-Hardlinern auf Widerstand treffen, da Großbritannien dann
nicht ohne weiteres Handelsabkommen mit den USA oder anderen Ländern
abschließen könnte - für Befürworter ein Hauptvorteil des Brexits.


Ein weiterer erwarteter Änderungsantrag sieht vor, dass Johnsons Deal
dem Volk in einem weiteren Referendum zur Zustimmung vorgelegt werden
muss. Unter diesen Umständen könnte sich zumindest ein Teil der
Labour-Abgeordneten eine Zustimmung vorstellen.

Die britische Regierung ist sich bewusst, dass die Zeit äußerst knapp
wird. Regierungskreise sprachen von der «Woche der Hölle» im
Parlament. Der «Telegraph» zitierte eine nicht näher genannte
Regierungsquelle mit den Worten: «Alles steht auf Messers Schneide.»

Den enormen Druck hat Johnson selbst aufgebaut: Er hat immer wieder
versprochen, Großbritannien am 31. Oktober - also nächste Woche - aus
der EU zu führen. Wiederholt hatte er auch mit einem Ausstieg ohne
Abkommen gedroht. Im Falle einer ungeregelten Scheidung von der
Staatengemeinschaft drohen chaotische Verhältnisse. In Prognosen wird
etwa mit Engpässen bei Lebensmitteln und Arzneien sowie mit Protesten
gerechnet.

Johnsons Umgang mit der Vorgabe des Parlaments, Aufschub zu
beantragen, beschäftigt auch ein Gericht in Schottland: Kritiker
werfen ihm vor, den Willen des Parlaments zu torpedieren. Die Richter
in Edinburgh erklärten am Montag, sie wollten vor einer Entscheidung
erst beobachten, wie sich die Regierung in London weiter verhalte und
ob sie vollends im Einklang mit dem Gesetz handele. Im Zweifel könne
es noch immer zu einer Rüge kommen.