EU-Importe verursachen Tropenwald-Abholzung in großem Ausmaß Von Gregor Bauernfeind, dpa
13.04.2021 16:29
ACHTUNG: DIESER BEITRAG DARF NICHT VOR DER SPERRFRIST, 14. April
00.01 UHR, VERÖFFENTLICHT WERDEN! EIN BRUCH DES EMBARGOS KÖNNTE DIE
BERICHTERSTATTUNG ÜBER STUDIEN EMPFINDLICH EINSCHRÄNKEN.
Für den Konsum in Europa werden anderswo Wälder gerodet. Die EU hält
einen Spitzenplatz in der WWF-«Weltrangliste der Waldzerstörer». Auch
Deutschland mischt bei der «importierten Entwaldung» kräftig mit.
Brüssel/Berlin (dpa) - Soja, Rindfleisch, Kaffee: Damit Kunden in
europäischen Supermärkten solche Produkte kaufen können, müssen in
anderen Weltregionen Wälder weichen. Für EU-Importe wurden zuletzt
pro Jahr durchschnittlich Tropenwälder von der vierfachen Größe des
Bodensees gerodet. Im Jahr 2017 gingen weltweit 16 Prozent der
Abholzung von Tropenwald im Zusammenhang mit Handel auf das Konto von
EU-Importen, wie ein am Mittwoch vorgestellter Bericht der
Umweltorganisation WWF für die Jahre 2005 bis 2017 feststellt.
Die Europäische Union liegt damit hinter China (24 Prozent) und vor
Indien (9 Prozent) und den USA (7 Prozent) weltweit auf Platz zwei
dieser «Weltrangliste». Innerhalb der EU steht Deutschland ganz oben
auf der Liste.
Die mit Abstand größten Verursacher von Abholzung durch EU-Importe
waren dem Bericht zufolge Soja (rund 31 Prozent der gerodeten Fläche)
und Palmöl (rund 24 Prozent), für deren Anbau oder Produktion vor
allem Wälder in Südamerika beziehungsweise Südostasien weichen
mussten. Dahinter folgten Rindfleisch, Holzprodukte, Kakao und
Kaffee.
Unter den EU-Ländern ist Deutschland für die meiste Abholzung durch
Importe verantwortlich: Im Schnitt wurden dafür pro Jahr 43 700
Hektar Wald gerodet - eine Fläche etwa halb so groß wie Berlin. Nach
Einwohnern gerechnet liegt Deutschland allerdings in etwa im
EU-Schnitt. Der meiste Wald pro Einwohner wurde für Importe in die
Niederlande, nach Belgien und Dänemark gerodet.
Die Rodungen machen sich dem Bericht zufolge nicht nur in Ökosystemen
weit weg von Europa bemerkbar, sondern betreffen auch das Weltklima.
Durch die importierte Entwaldung habe die EU 2017 indirekt 116
Millionen Tonnen CO2-Emissionen verursacht, heißt es in dem
WWF-Bericht. Das entspreche mehr als einem Viertel der EU-Emissionen
aus der Landwirtschaft im selben Jahr. Solche indirekten Emissionen
würden in den Statistiken zu Treibhausgas-Emissionen nicht erfasst.
Der Bericht zeigt jedoch auch, dass die EU die durch Importe
verursachte Waldzerstörung von 2005 bis 2017 um 40 Prozent reduziert
hat. 2005 machte der EU-Anteil weltweit noch 31 Prozent aus, Europa
lag bis 2013 auf Platz eins der «Weltrangliste der Waldzerstörer»,
wie es der WWF in dem Bericht formuliert. Selbstverpflichtungen von
Unternehmen und Regierungen hätten in einigen Fällen zwar etwas
gebracht. Erfolgreich seien sie letztlich aber nicht gewesen. Denn:
Das erklärte EU-Ziel, die Entwaldung bis 2020 zu stoppen, wurde nicht
erreicht.
Der WWF fordert deshalb EU-Gesetze mit verbindlichen Regeln. Das
Europaparlament hat die EU-Kommission bereits im Oktober 2020 dazu
aufgefordert, einen Rechtsrahmen vorzulegen, um die von der EU
verursachte globale Abholzung zu stoppen.
Entscheidend sei, dass es verbindliche Anforderungen an Unternehmen
und den Finanzsektor gebe, fordert die Stiftung. Rohstoffe müssten
zurückzuverfolgen, Lieferketten transparent sein. Die nationale
Gesetzgebung der EU-Staaten sollte effektive und abschreckende
Sanktionen wie Geldstrafen für Betreiber und Händler oder die
Beschlagnahmung von Waren vorsehen, wenn Bestimmungen nicht
eingehalten werden. Zentral sei außerdem, sich nicht etwa an den
Regeln der exportierenden Länder zu orientieren - denn nach den
Gesetzen vor Ort können die Rodungen durchaus legal sein.
«Die Ära der Naturzerstörung muss enden, denn natürliche Ökosyste
me
wie Wälder sind unsere Lebensversicherung», sagte Christine Scholl,
die beim WWF für nachhaltige Lieferketten zuständig ist. «Produkte,
die auf dem europäischen Markt landen, dürfen nicht auf Kosten von
Natur und Menschenrechten produziert werden.» Denn obwohl sich der am
Mittwoch vorgestellte Bericht mit Rodungen befasst - allein auf die
Wälder darf sich die EU bei der Gesetzgebung nicht konzentrieren,
wenn es nach der WWF geht. Dann könnten andere Probleme ignoriert
werden, etwa Menschenrechtsverletzungen oder die Zerstörung anderer
Ökosysteme wie Savannen, Grasland und Feuchtgebiete.
Auf die Schultern der Konsumenten will der WWF die Aufgabe nicht
geladen wissen, das Ausmaß der Rodungen zu reduzieren. Es solle
vielmehr eine Selbstverständlichkeit sein, dass das, was auf den
Tellern lande, nicht mit der Zerstörung des Planeten oder der
Verletzung von Menschenrechten zusammenhänge, sagte Anke
Schulmeister-Oldenhove vom WWF, die Hauptautorin des Berichts.
Darüber hinaus könne aber durchaus der eigene Konsum - etwa von
Fleisch - und dessen Folgen hinterfragt werden.
Für den Bericht wurden Daten zur Abholzung - zum Beispiel
Satellitenbilder - mit Daten zum internationalen Handel verknüpft.
Ergebnisse für die Zeit nach 2017 liegen laut WWF noch nicht vor. Der
Bericht bezieht sich also auf die EU inklusive Großbritanniens.