Öl-Embargo: Fünf Punkte, die für Ostdeutschland wichtig werden Von Verena Schmitt-Roschmann, Burkhard Fraune und Oliver von Riegen, dpa

04.05.2022 10:45

Noch vor kurzem hing Ostdeutschland praktisch komplett am russischen
Öl aus der Druschba-Pipeline. Nun soll der Ölimport aus Russland
binnen weniger Monate verboten werden. Wie soll das gehen?

Schwedt/Berlin (dpa) - Auch wenn Deutschland seine Abhängigkeit von
russischem Öl seit Beginn des Ukraine-Kriegs stark zurückgefahren
hat: Für den Osten gilt das nur bedingt. Die Raffinerie
Mitteldeutschland in Leuna, die bisher über die Druschba-Pipeline
versorgt wurde, schafft die Abkehr vom russischen Öl nur
schrittweise. Und die PCK-Raffinerie Schwedt/Oder ist vorerst weiter
komplett davon abhängig. Nun könnte in sechs Monaten ein
EU-Importverbot für russisches Rohöl greifen. Geht Ostdeutschland der
Sprit aus? Schießen die Preise durch die Decke? Fünf Punkte, die
jetzt wichtig werden:

1. Ostdeutschland läuft mit Sprit aus Leuna und Schwedt

In Berlin und Brandenburg fahren nach Angaben von PCK neun von zehn
Autos mit Kraftstoff aus der Raffinerie im brandenburgischen Schwedt.
Auch der Flughafen BER bezieht von dort Kerosin. Die Raffinerie Leuna
in Sachsen-Anhalt beliefert rund 1300 Tankstellen in Sachsen-Anhalt,
Sachsen und Thüringen. Zudem sind die ostdeutschen Raffinerieprodukte
Schmierstoff für die chemisch-pharmazeutische Industrie, die laut
Branchenverband rund 54 500 Menschen in 160 Unternehmen beschäftigt.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schreibt denn auch im
jüngsten Fortschrittsbericht Energiesicherheit: «Insbesondere in
Ostdeutschland ist dieser Prozess, gänzlich von russischem Öl
unabhängig zu werden, anspruchsvoll.»

2. Leuna sucht sich andere Quellen

Der Betreiber der Leuna-Raffinerie, der Konzern Totalenergies, hat
bereits im März entschieden, bis zum Jahresende den Bezug von
russischem Öl einzustellen. «Ende März ist ein Versorgungsvertrag mit

russischem Rohöl zu Ende gegangen», teilte das Unternehmen mit. «Die

ersten Cargos mit Alternativversorgung aus nicht-russischem Rohöl
werden derzeit entladen.» Man sei in der Umstellungsphase.

Der Mineralölverband Fuels und Energie bestätigt: «Für den
Raffineriestandort Leuna zeichnet sich ein Weiterbetrieb über eine
Pipeline vom Seehafen Danzig ab, allerdings nicht in bisherigem
Umfang.» Das Rohöl kommt aus anderen Ländern per Tanker ins polnische

Danzig und wird dort über die Plock-Pipeline nach Westen
transportiert. Alternative Lieferländer sind zum Beispiel
Großbritannien, Norwegen, Kasachstan, Libyen, Nigeria und die USA.

3. Schwedt ist ein Sonderfall - mit ungewissem Ausgang

Die PCK-Raffinerie Schwedt hat nach Habecks Darstellung wegen des
russischen Mehrheitseigners Rosneft bislang kein Interesse an einer
Abkehr von russischem Öl. Die Bundesregierung erwägt daher als
letztes Mittel eine Enteignung. Die Belieferung von Schwedt wäre laut
Fuels und Energie auch mit Tankeröl aus anderen Ländern über eine
Pipeline vom Seehafen Rostock möglich - allerdings mangels Kapazität
nur zum Teil. «Ob das für einen dauerhaften Betrieb ausreicht, wird
derzeit geprüft», erklärt der Verband. Nach einer Studie für
Greenpeace könnte der Bezugsweg über Rostock 60 Prozent des Bedarfs
in Schwedt decken, bei einer Erweiterung der Pipeline bis zu 90
Prozent. Auch für Schwedt könnten wohl Mengen über den Danziger Hafen

dazukommen. Derzeit laufen Gespräche zwischen dem Bund, Brandenburg
und Shell Deutschland, wie die Raffinerie am Netz bleiben kann auch
ohne russisches Öl.

Sowohl für Schwedt als auch für Leuna gilt: Die Anlagen sind auf die
bisher bezogene Sorte sibirischen Öls kalibriert. Sie müssten
entweder neu eingestellt werden, was eine Produktionspause bedeuten
würde. Oder man müsste aus neuen Bezugsquellen eine Mischung
herstellen, die dem bisher bezogenen russischen Öl ähnelt, so erklärt

es der Branchenverband.

4. Der Westen wird den Osten (zum Teil) mitversorgen müssen

Fuels und Energie geht davon aus, dass beide ostdeutschen Raffinerien
auch ohne russisches Öl zumindest in Teillast weiter betrieben werden
können. In dem Fall könne «die Tankstellenversorgung bundesweit
inklusive Ostdeutschland aufrechterhalten werden». Von westdeutschen
Raffinerien könnten Fertigprodukte wie Benzin und Heizöl über
Kesselwagen, Lastwagen oder Schiffe nach Osten gebracht werden.
Überbrückungshilfen aus der Rohölreserve in Niedersachsen könnten
über Wilhelmshaven per Tanker nach Rostock und Danzig gehen. Die
Greenpeace-Studie des Energiefachmanns Steffen Bukold beschreibt ein
ähnliches Szenario.

5. Es wird teuer

Von einem Öl-Embargo könnte insgesamt auf dem Weltmarkt das Signal
ausgehen: Achtung, knappes Gut, Preise hoch! Ob und inwieweit das
passiert, wagen aber auch Experten nicht vorherzusagen, weil immer
auch Faktoren wie zum Beispiel der Dollarkurs im Spiel sind. Speziell
in Ostdeutschland könnten Kostenfaktoren dazu kommen. Der Ökonom Jens
Südekum erläuterte es zuletzt so: Russisches Rohöl ist mangels
Nachfrage seit Kriegsbeginn deutlich billiger als Öl aus anderen
Quellen, das nun viele haben wollen. Nun müssen vor allem in
Ostdeutschland große Mengen zu höheren Preisen ersetzt werden. Zudem
würden Transporte von Rohöl und Ölprodukten von West nach Ost
zusätzliches Geld kosten, ebenso die Umstellung der ostdeutschen
Raffinerien. All das könnte nach Einschätzung von Experten dazu
führen, dass die Preise an der Zapfsäule im Osten noch einige Cent
höher ausfallen als im Westen. Andererseits: Schwankungen um einige
Cent hin und her sind für Tankstellenkunden ja ohnehin Tagesgeschäft.