Sarah Wiener: Die politische Köchin wird 60 Von Albert Otti, dpa
25.08.2022 07:37
Aus der Schulabbrecherin wurde eine Gastronomin, TV-Persönlichkeit
und Politikerin. Seit ihrem Einzug in das EU-Parlament kocht Wiener
seltener - aber sie lässt sich eine Rückkehr zum Fernsehen offen.
Wien (dpa) - Sarah Wiener hat sich in ihrem Leben mehrmals neu
erfunden. Die Gastronomie-Unternehmerin wurde zu einer berühmten
Fernsehköchin, und seit drei Jahren ist sie vor allem als Abgeordnete
der Grünen im Europaparlament tätig. «In die Politik zu gehen, ist
ein kleiner, einfacher Schritt. Politik zu lernen und zu machen, ist
dann noch mal eine ganz andere Dimension», gibt Wiener im Gespräch
mit der Deutschen Presse-Agentur unumwunden zu. Am Samstag feiert das
in Westfalen geborene und in Wien aufgewachsene Multitalent seinen
60. Geburtstag.
Als «große Kraftanstrengung» bezeichnet Wiener ihren Quereinstieg in
die EU-Politik, für die sie aber «Feuer gefangen» habe. Es sei
schwierig, die Systeme, die unnötig komplizierte Fachsprache, die
Rituale, die Akteure und die Hierarchien zu durchschauen - besonders,
wenn man so wie sie nicht auf politische Netzwerke zurückgreifen
könne. Während der Corona-Pandemie habe sie jedoch Zeit gefunden,
sich viel Wissen anzueignen, erzählt sie.
Die Vielfalt an Interessen wurden Wiener in die Wiege gelegt. Sie
wurde 1962 in Halle (Westfalen) als Tochter der Grafikerin und
Zeichnerin Lore Heuermann geboren. Ihr Vater Oswald Wiener war ein
bekannter Literat, Jazzmusiker, Informatiker und Gastronom.
Als Jugendliche brach sie die Schulausbildung ab, trampte durch
Europa und kam schließlich in den 80er Jahren nach West-Berlin, wo
sie ihren Sohn zur Welt brachte und ihre gastronomische Laufbahn
begann: erst als Küchenhilfe und Konditorin im «Exil», dem
Szene-Restaurant ihres Vater in Kreuzberg, dann als
Catering-Unternehmerin für Filmproduktionen und als eigenständige
Restaurant-Betreiberin.
Nach ein paar Talkshow-Auftritten Anfang der 2000er landete Wiener
mit ihrer Rolle als Mamsell in der ARD-Zeitreise-Doku «Abenteuer 1900
- Leben im Gutshaus» im Jahr 2004 endgültig in der Welt des
Fernsehens. Es folgten viele Kochsendungen, darunter «Die
kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener», bei der sie verschiedene
Länder bereiste und regionale Speisen nachkochte - sozusagen als
Wegbereiterin für Tim Mälzer, der später mit «Kitchen Impossible»
eine testosterongeladene Version des Formats präsentierte. «Das
Fernsehen geht mir auch ab und zu ab», sagt die Politikerin Wiener
heute. «Ich tröste mich damit, dass ich ja noch jung bin. Das kann ja
wiederkommen.»
In der Doku-Serie «Sarah und die Küchenkinder» widmete sich Wiener
dem gesunden und lustvollen Kochen mit Kindern - ein Anliegen, das
auch die von ihr ins Leben gerufene Stiftung mit verschiedenen
Projekten verfolgt. «Kochen ist politisch», sagte die Star-Köchin und
Mutter eines Sohnes schon einige Jahre, bevor sie 2019 für
Österreichs Grüne zur Wahl antrat. Der Kampf gegen industrielle
Lebensmittelproduktion und für lokale, nachhaltige Landwirtschaft
gehören zu ihren Kernthemen.
Doch Wieners Leben besteht nicht nur aus TV- und Wahlerfolgen. Im
Jahr 2014 trennten sich Schauspieler Peter Lohmeyer und sie im
siebten Jahr ihrer Beziehung. 2020 meldete sie während der
Corona-Pandemie Insolvenz für ihre Berliner Restaurants und ihren
Catering-Service an. «Die Gastronomie selber vermisse ich nicht so
sehr wie den Akt des Kochens», sagt Wiener, die viel Zeit in
Straßburg und Brüssel verbringt. Ihre anderen Unternehmen laufen
weiter, darunter eine Bäckerei und ein Bio-Bauernhof in ihrer
Wahlheimat in der Uckermark.
An ihrem runden Geburtstag lässt sich Sarah Wiener bekochen und
feiert mit Familie und engen Freunden. Danach folgt eine Tour durch
Österreich, um mit Wählerinnen und Wählern zu diskutieren und zu
essen. «Es kann sein, dass ich bei diesen Veranstaltungen auch das
eine oder andere Mal den Kochlöffel in die Hand nehme», erzählt sie.