) Korruptionsvorwürfe: EU-Parlament setzt Kaili beinahe einstimmig ab Von Regina Wank und Michel Winde, dpa

13.12.2022 17:41

Nach den Enthüllungen um mutmaßliche Korruption beginnen im
Europaparlament die Aufräumarbeiten. Die unter Korruptionsverdacht
stehende Griechin Eva Kaili wird als Vizepräsidentin abgesetzt.
Erstmals meldet die Beschuldigte sich zu Wort.

Straßburg (dpa) - Mit der fast einstimmigen Absetzung seiner
Vizepräsidentin Eva Kaili hat das Europaparlament einen ersten
Befreiungsschlag im Korruptionsskandal um mutmaßliche Einflussnahme
aus dem Golfemirat Katar versucht. Die Abgeordneten enthoben die 44
Jahre alte Griechin am Dienstag mit nur einer Gegenstimme in
Straßburg ihres Amtes. Nach Tagen immer neuer Vorwürfe gegen
Abgeordnete und Mitarbeiter beginnt nun die Aufräumarbeit. Kaili, die
derzeit in Untersuchungshaft ist, bestritt unterdessen über ihren
Anwalt den Vorwurf, gegen Geld politische Entscheidungen im Sinne des
Wüstenstaats Katar beeinflusst zu haben.

Angesicht der Dimension des Skandals wäre alles andere als ein
deutliches Zeichen bei der Abstimmung über Kailis Absetzung wohl eine
Blamage gewesen. Mit einem so deutlichen Ergebnis haben aber wohl die
wenigsten gerechnet. «Die große Einigkeit des Parlaments ist ein sehr
gutes Zeichen», sagte die Grünen-Fraktionschefin Terry Reintke der
Deutschen Presse-Agentur. «Wenn wir uns jetzt noch auf umfassende
Aufklärung und weitergehende präventive Maßnahmen einigen können, i
st
ein erster wichtiger Schritt in der Reaktion auf den Skandal
genommen.»

Dass es eine lückenlose Aufklärung geben soll, hatte Präsidentin
Roberta Metsola bereits am Montag versprochen. Sie nannte interne
Untersuchungen, einen Reformprozess für mehr Transparenz und einen
besseren Schutz von Whistleblowern. Im Gespräch sind etwa ein
Untersuchungsausschuss und ein Ethikgremium. Bereits am Wochenende
hatte Metsola der ehemaligen TV-Moderatorin Kaili, die eine von 14
Vize-Präsidentinnen war, alle Befugnisse in diesem Amt entzogen.
Zudem wurde sie aus ihrer griechischen Pasok-Partei und der
sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament ausgeschlossen. Ihr
Abgeordnetenmandat behält die Griechin vorerst.

Kaili ist eine von sechs Verdächtigen, die in dem Korruptionsskandal
seit Freitag von den belgischen Behörden festgenommen worden sind.
Vier von ihnen kamen am Sonntag in Untersuchungshaft, darunter die 44
Jahre alte Kaili selbst, ihr Freund und der ehemalige
sozialdemokratische Europaabgeordnete Antonio Panzeri aus Italien.
Sie werden der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, der
Geldwäsche und der Korruption beschuldigt.

Wie italienische Medien am Dienstag übereinstimmend berichteten, hat
Kailis Freund nach seiner Festnahme lange mit den Ermittlern
gesprochen, manch eine Zeitung schrieb gar von einem «Kronzeugen».
Eine Bestätigung dafür gab es zunächst nicht.

Im Raum steht, dass Katar, das derzeit die Fußball-Weltmeisterschaft
ausrichtet, mit Geld- und Sachgeschenken versucht hat, Einfluss auf
politische Entscheidungen im Europaparlament zu nehmen. Die Ermittler
durchsuchten mittlerweile die Häuser und Wohnungen von mindestens
zwei Abgeordneten sowie die Büros mehrerer Parlamentsmitarbeiter.
Katar weist die Vorwürfe zurück.

Kaili selbst ist sich ebenfalls keiner Schuld bewusst, wie ihr Anwalt
Michalis Dimitrakopoulos am Dienstag klarstellte. «Ihre Position ist,
dass sie unschuldig ist. Sie hat nichts mit Geldflüssen aus Katar zu
tun, überhaupt nichts.» Zu Details dürfe er sich nicht äußern und
er
habe auch kein Bild davon, ob Geld gefunden worden sei und wenn ja,
welche Summen, sagte Dimitrakopoulos. Ein Detail wollte er dann aber
doch geraderücken: Unter der Kinderwiege der kleinen Tochter von
Kaili seien - anders als von griechischen Medien berichtet - keine
160 000 Euro gefunden worden. Eine solche Wiege gebe es gar nicht.

Die belgischen Medien «Le Soir» und «Knack», die die Ermittlungen
gegen Kaili aufgedeckt hatten, berichteten am Dienstag, dass
Ermittler bei Kaili und Panzeri mehr als 1,5 Millionen Euro in bar
gefunden hätten.

Wie Kaili beteuerte am Dienstag auch der vorübergehend festgenommene
Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB) Luca
Visentini seine Unschuld. «Ich bin froh, dass die Befragung
abgeschlossen ist und ich alle Fragen vollständig beantworten
konnte», sagte der Italiener einer IGB-Mitteilung zufolge. «Sollten
weitere Anschuldigungen erhoben werden, freue ich mich auf die
Gelegenheit, sie zu widerlegen, da ich mir nichts vorzuwerfen habe.»
Jede Form von Korruption sei völlig inakzeptabel. Anders als Kaili
wurde Visentini am Sonntag unter Auflagen aus dem Gefängnis
freigelassen.

Die einzige Stimme gegen Kailis Absetzung im Parlament kam übrigens
von einem selbst erklärten Kämpfer gegen Korruption: dem
fraktionslosen Abgeordneten Mislav Kolakusic aus Kroatien. Der
ehemalige Richter begründete sein Votum auf Nachfrage der dpa mit der
Unschuldsvermutung. Neben den 625 Ja-Stimmen und Kolakusic' Nein gab
es noch zwei Enthaltungen: vom AfD-Politiker Joachim Kuhs und dem
niederländischen Konservativen Dorien Rookmaker. Kuhs sagte der dpa,
als rechtstreuer Bürger und Christ wolle er Kaili nicht
vorverurteilen.

Wie es für Kaili weitergeht, wird sich schon am Mittwoch zeigen. Dann
soll sie vor einer Gerichtskammer aussagen und es wird darüber
entschieden, ob sie zunächst auf freien Fuß kommt.