EU-Asean-Gipfel endet ohne gemeinsame Verurteilung Russlands
14.12.2022 20:11
Kann die EU die Beziehungen zu Staaten intensivieren, die
außerehelichen Sex verbieten oder Russlands Krieg gegen die Ukraine
nicht verurteilen wollen? Diese Frage stellt sich zum Gipfeltreffen
der EU mit den Asean-Ländern. Die Antwort fällt eindeutig aus.
Brüssel (dpa) - Der Europäischen Union ist es nicht gelungen, den
Verband südostasiatischer Nationen (Asean) zu einer gemeinsamen
Verurteilung von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zu
bewegen. In der Abschlusserklärung des ersten großen Gipfeltreffens
der beiden Organisationen in Brüssel wurde am Mittwoch lediglich
festgehalten, dass die meisten Teilnehmerstaaten die Aggression
Russlands gegen die Ukraine auf das Schärfste verurteilen.
Als Grund nannten Diplomaten die Position von Vietnam, Laos und
Thailand. Diese drei Länder hatten sich auch bei der letzten großen
Abstimmung zu einer kritischen UN-Resolution zu Russlands Krieg
enthalten.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte zu dem Thema am Abend bei einer
Pressekonferenz, man wisse, dass auch Länder, die die Resolution
nicht unterstützt hätten, den Krieg als ungerecht empfänden. Dies sei
ein guter Ausgangspunkt für das, was man sich vorgenommen habe. «Kein
Staat hat das Recht, einen anderen zu überfallen und nukleare
Drohungen sind nicht akzeptabel», bekräftigte er. Scholz vertrat bei
dem Treffen auch den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron,
der zum Halbfinalspiel der Fußballweltmeisterschaft in Katar gereist
war.
Bei dem Gipfel machte die EU grundsätzlich deutlich, dass sie trotz
Differenzen enger mit den Staaten in Südostasien zusammenarbeiten
will - auch, um so den Einfluss von China und Russland zu begrenzen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte Investitionen
in Höhe von zehn Milliarden Euro an. Das Geld soll die Wirtschaft und
die Unabhängigkeit von Ländern wie Indonesien und Thailand stärken,
Arbeitsplätze schaffen und den Kampf gegen den Klimawandel fördern.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, auf der geopolitischen
Bühne finde ein Kampf der Angebote statt. Wenn man nicht von anderen
Akteuren überholt werden wolle, müsse man sich mehr engagieren und
mehr investieren. Die Asean-Region habe eine pulsierende Wirtschaft
und werde in den kommenden Jahren «wachsen und wachsen».
Indonesiens Präsident Joko Widodo betonte unterdessen, dass die
Partnerschaft zwischen EU und Asean nicht nur reibungslos ablaufe.
Man sei immer wieder mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. «Wenn
wir daher eine bessere Partnerschaft aufbauen möchten, dann muss
diese auf Gleichheit beruhen», sagte er. Es könne nicht sein, dass
Meinungen aufgezwungen würden oder dass ein Partner dem anderen etwas
vorschreibe und glaube, dass seine Standards besser seien.
Ob er damit auch die Kritik an einem indonesischen Gesetz zum Verbot
von Sex außerhalb der Ehe meinte, ließ er offen. Trotz Protesten
hatte das Parlament des Inselstaats in der vergangenen Woche einen
entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen. Menschenrechtler hatten das
Abgeordnetenhaus zuvor dringend aufgefordert, die neuen Regeln nicht
zu verabschieden, weil sie die Bürgerrechte im größten islamisch
geprägten Land der Erde verletzten. Sie soll 2025 in Kraft treten.
Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs wurde zum 45-jährigen
Bestehen der diplomatischen Beziehungen zwischen der EU und Asean
organisiert. Es war nach Angaben der EU der allererste in diesem
großen Format. Bislang wurde in der Regel auf Ministerebene getagt.
Zum Verband südostasiatischer Nationen gehören derzeit Laos, Brunei,
Kambodscha, Indonesien, Malaysia, Myanmar, die Philippinen, Singapur,
Thailand und Vietnam. Die Führung Myanmars ist nach dem Militärputsch
2021 jedoch nicht eingeladen.
Von der Leyen sicherte bei dem Gipfel auch zu, dass die EU weiter das
Projekt eines Freihandelsabkommens mit dem Asean-Verband vorantreiben
werde. «Ich glaube, wir müssen jetzt die Gelegenheit ergreifen»,
sagte sie. Verhandlungen zu einem EU-Asean-Handelsvertrag waren in
der Vergangenheit nicht vorangekommen und pausiert worden.
Der philippinische Präsident Ferdinand Marcos Junior rief die EU beim
Gipfel dazu auf, ihre Vorschläge für das Abkommen anzupassen. «Wir
fordern die EU auf, den Umfang und den Geltungsbereich ihres
vorgeschlagenen Freihandelsabkommens auf das abzustimmen, worauf sich
die Asean-Staaten derzeit gemeinsam einigen können», sagte er. Dann
könne man bei den Verhandlungen konkrete Fortschritte erzielen.
Marcos übernimmt im kommenden Jahr den Vorsitz des Asean-Verbands.
Die zehn Asean-Länder zusammen sind nach Angaben der EU-Kommission
einer der wichtigsten Handelspartner der EU. Sie stehen nach China
und den USA direkt auf Platz 3. Das gilt auch umgekehrt: Für den
Asean ist die EU ebenfalls der drittwichtigste Handelspartner.
2021 betrug das Volumen des Warenhandels zwischen der Europäischen
Union und Asean demnach knapp 216 Milliarden Euro. Die EU exportiert
demnach unter anderem Chemikalien und Maschinen in die Länder, die
Asean-Länder zum Beispiel landwirtschaftliche Erzeugnisse, Textilien
und Bekleidung. Hinzu kommt der Dienstleistungssektor: 2019 lag das
Volumen der EU-Kommission zufolge bei 93,5 Milliarden Euro. Bislang
gibt es aber nur zwei bilaterale Handelsabkommen zwischen der EU und
den Asean-Ländern Vietnam und Singapur.