Verkehrsminister und Autobauer warnen vor zu scharfer EU-Abgasnorm Von Andreas Hoenig und Jan Petermann, dpa
06.02.2023 13:26
Wie stark und ab wann soll der erlaubte Ausstoß schädlicher Abgase
begrenzt werden? Diese Frage treibt Autoindustrie wie Umweltschützer
um. Dass die Zukunft mittelfristig E-Fahrzeugen gehören soll, betonen
alle. Aber was passiert mit Dieseln und Benzinern auf dem Weg dahin?
Berlin/Wolfsburg (dpa) - Bundesverkehrsminister Volker Wissing und
Vertreter der Autobranche haben die EU-Kommission vor einer zu
scharfen Regulierung und einem möglichen Jobabbau im Zusammenhang mit
der geplanten Abgasnorm Euro 7 gewarnt. «Regulierung muss Mobilität
fördern, nicht verhindern», sagte Wissing am Montag der Deutschen
Presse-Agentur in Berlin. Systematische Verknappung durch neue Regeln
gefährde nicht nur den weiteren Hochlauf der E-Mobilität, sondern
zunehmend auch Arbeitsplätze. «Wenn Fahrzeuge immer teurer werden,
ohne dass damit mehr Umweltschutz verbunden ist, wird Mobilität zum
Luxusgut», kritisierte der FDP-Politiker. «Wir brauchen in der Fläche
Teilhabe durch individuelle Mobilität - auch in Zukunft.»
Hersteller und Industrieverbände hatten bereits mehrfach erklärt, die
Einführung der nötigen Technik zur Einhaltung verschärfter Grenzwerte
bei den Stickoxid-Emissionen sei zeitlich zu anspruchsvoll und dürfte
Autos verteuern - im Verhältnis zum Gesamtpreis insbesondere kleinere
Modelle. Im November hatte die Kommission ihre Vorschläge vorgelegt.
Es gibt Befürchtungen, im Fall einer entsprechend sinkenden Nachfrage
nach Verbrennern könnten auch etliche Jobs verschwinden. Volkswagen
betonte: «Wir teilen die Einschätzung, dass Euro 7 in der jetzt
vorliegenden Form negative Beschäftigungseffekte für die europäische
Automobilindustrie hätte.» Dagegen fordern Umweltorganisationen ein
möglichst baldiges Aus für klassische Diesel und Benziner.
Der Brüsseler EU-Behörde zufolge ist der Straßenverkehr die größt
e
Quelle für Luftverschmutzung in Städten. Mit der neuen Norm sollen
sauberere Fahrzeuge und eine bessere Luftqualität zum Schutz der
Gesundheit der Bürger und der Umwelt gewährleistet werden. Ziel von
Euro 7 ist es, den Ausstoß von Stickoxiden (NOx) durch Autos bis 2035
um 35 Prozent zu drücken, bei Bussen und Lkw um über 50 Prozent.
NOx-Verbindungen standen auch im Zentrum des Abgasskandals, in dessen
Folge mehrere Städte teilweise Diesel-Fahrverbote erlassen hatten.
«Wenn die Automobilindustrie warnt, dass die Regulierung Fahrzeuge
unnötig verteuert und die Beschleunigung der E-Mobilität behindert,
ist das sehr ernst zu nehmen», sagte Wissing. «Die EU-Kommission kann
nicht einerseits hohe Klimaschutzziele einfordern und andererseits
deren Erreichung durch Regulierung verhindern.» Der Verbrennungsmotor
könne zudem mit synthetischen Kraftstoffen Klimaschutz und Mobilität
vereinen: «Europa darf diese technologische Lösung nicht verhindern.»
Die Autoländer Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen hatten die
Bundesregierung aufgefordert, die aktuellen Pläne zu Euro 7 nicht zu
akzeptieren. Sie fürchten im Fall der Umsetzung erhebliche Nachteile
für die Industrie, heißt es in einem Brief der Ministerpräsidenten an
Kanzler Olaf Scholz (SPD), der der dpa vorlag. Die Richtlinie soll ab
Juli 2025 für neu zugelassene Fahrzeuge gelten. Europaparlament und
EU-Staaten müssen den Vorschlägen zustimmen, es laufen Verhandlungen.
Am Konzept der Kommission kann sich theoretisch noch einiges ändern.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisierte das Schreiben der
Autoländer und wies die Behauptung, dass die Entwicklung der Technik
zu teuer sei und sich mit Blick auf den geplanten Verbrennerausstieg
2035 nicht lohne, als «faktisch falsch und fadenscheinig
argumentiert» zurück. Die drei Ministerpräsidenten machten
«Lobbyarbeit für BMW, Mercedes und VW auf Kosten der Bürgerinnen und
Bürger, die unter den gesundheitsschädlichen Abgasen leiden», sagte
DUH-Chef Jürgen Resch.
In einem offenen Brief an die EU-Spitzen hatte der Vorsitzende des
europäischen Autobranchenverbands Acea, Renault-Chef Luca de Meo,
eine erwartete Kostensteigerung für Fahrzeuge durch Euro 7 zwischen
sieben und zehn Prozent genannt. Bis zu 300 000 Arbeitsplätze könnten
demnach auf dem Spiel stehen. Auch der deutsche Branchenverband VDA
sowie einzelne Unternehmen äußerten sich kritisch zu dem Vorhaben.
Volkswagen sprach außerdem von «völlig unrealistischen zeitlichen
Zielvorgaben» - Hersteller und Behörden könnten diese kaum so rasch
umsetzen wie gefordert. Die Strenge der Standards würde «große
personelle und finanzielle Ressourcen binden, die wir sinnvoller und
zukunftsgerichtet für die Elektrifizierung einsetzen könnten». Die
von de Meo genannten Preisschätzungen seien zutreffend.
Die Autobranche moniert überdies, dass die Kriterien für Abgastests
nach den neuen Standards viel zu speziell seien. «Der Luftqualität
ist nicht geholfen, wenn wir die Abgasemissionen eines neuen
Verbrenners mit Vollgas und Pferdeanhänger im ersten Gang auf einem
Bergpass in den Alpen zum Maß der Dinge machen», hieß es bei VW. Die
reale Nutzung sehe anders aus - während die geforderte neue
Abgastechnik «gerade günstige Kleinwagen erheblich teurer» machen
dürfte.
Ein BMW-Sprecher sagte dem Fachblatt «Automobilwoche»: «Euro7 sollte
vor allem Schadstoffe regeln und nicht für ein früheres Ende des
Verbrenners instrumentalisiert werden. Damit würde das Produktangebot
unnötig verteuert.» Auch manche Experten unterstreichen, dass allzu
ehrgeizige Reinigungstechnik besonders bei Kleinwagen ins Gewicht
fällt, und rechnen mit einer künftig «elitäreren» Mobilität.
Greenpeace verlangte, die Autobauer müssten in den kommenden Jahren
emissionsfreien Antrieben zum Durchbruch verhelfen. «Wenn Wissing für
langfristig sichere Arbeitsplätze in der Branche sorgen will, dann
sollte er alles daran setzen, die deutsche Autoindustrie an die
Spitze der Mobilitätswende zu setzen», erklärte Verkehrsexperte
Benjamin Stephan. «Ehrgeizigere Abgasstandards helfen dabei.»