Hartnäckig hohe Inflation - Weitere Zinserhöhungen von EZB gefordert Von Jörn Bender, dpa
01.03.2023 15:29
Hartnäckig hält sich die Teuerung in Deutschland auf hohem Niveau.
Die Geldpolitik müsse entsprechend «noch hartnäckiger» sein, mahnt
der Bundesbank-Präsident. Sicher scheint: Auch wenn Verbraucher auf
Entlastung hoffen dürfen, wird die hohe Inflation erstmal bleiben.
Frankfurt/Wiesbaden (dpa) - Die Teuerung in Deutschland verharrt
unverändert knapp unter der Neun-Prozent-Marke. Wie im Januar lagen
die Verbraucherpreise auch im Februar 2023 um 8,7 Prozent über dem
Niveau des Vorjahresmonats. Volkswirte werteten die am Mittwoch
veröffentlichten vorläufigen Berechnungen des Statistischen
Bundesamtes als «Warnsignal» für die Euro-Währungshüter. Auch
Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hatte zuvor betonte: «Die
Inflation ist zu hoch und geldpolitisch muss daher was getan werden.»
Die von der Europäischen Zentralbank (EZB) für März angekündigte
Zinserhöhung werde nicht die letzte sein, sagte Nagel in Frankfurt.
Angeschoben wird die Inflation seit Monaten von hohen Energie- und
Lebensmittelpreisen. Haushaltsenergie und Kraftstoffe kosteten nach
Angaben der Wiesbadener Behörde vom Mittwoch im Februar den
vorläufigen Zahlen zufolge 19,1 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.
Nahrungsmittel verteuerten sich binnen Jahresfrist um 21,8 Prozent.
Von Januar auf Februar 2022 stiegen die Verbraucherpreise nach
Berechnungen des Bundesamtes voraussichtlich um 0,8 Prozent. Das
Statistische Bundesamt hatte mit dem Berichtsmonat Januar 2023 die
Berechnungsgrundlage auf das Basisjahr 2020 umgestellt.
«Auch wenn die Daten wegen der neuen Gewichtung des Warenkorbs zum
Jahreswechsel besonders volatil erscheinen, zeigt sich ganz klar: Die
Teuerung geht nicht so rasch zurück wie erhofft», analysierte der
Chefvolkswirt des Fondsanbieters Union Investment, Jörg Zeuner. Seit
September halte sich die Inflation «auf stark erhöhtem Niveau».
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer bekräftigte: «Die Inflation i
st
noch lange nicht besiegt.» Es brauche von der EZB «weitere, kräftige
Leitzinserhöhungen», um das Inflationsproblem mittelfristig zu lösen.
Die EZB strebt mittelfristig für den Euroraum Preisstabilität bei
einer Teuerungsrate von zwei Prozent an. Mit Zinserhöhungen versuchen
die Währungshüter, die Inflation einzudämmen. Höhere Zinsen verteue
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Kredite. Das kann die Nachfrage bremsen und hohen Teuerungsraten
entgegenwirken. Nach fünf Anhebungen in Folge seit Juli liegt der
Leitzins im Euroraum inzwischen bei 3,0 Prozent. Für die EZB-Sitzung
am 16. März ist eine weitere Zinserhöhung um erneut 0,5 Punkte in
Aussicht gestellt. Derzeit halte er «noch höhere Leitzinsen für
erforderlich, damit die Inflationsrate zeitnah zu unserem
Zwei-Prozent-Ziel zurückkehrt», sagte Bundesbank-Präsident Nagel.
Höhere Teuerungsraten schmälern die Kaufkraft von Verbraucherinnen
und Verbrauchern, denn sie können sich für einen Euro dann weniger
leisten. Im vergangenen Jahr sanken die Reallöhne in Deutschland -
also die Nominallöhne unter Berücksichtigung der Inflation - zum
dritten Mal in Folge - und zwar um 3,1 Prozent.
Mit einer durchgreifenden Entspannung bei den Preisen rechnen
Volkswirte im laufenden Jahr nicht. Denn nach Einschätzung von
Ökonomen hat die Inflation inzwischen an Breite gewonnen und erfasst
viele andere Produkte außer Energie und Nahrungsmittel. Steigende
Löhne könnten den Preisauftrieb zudem anheizen. Dämpfend wirken
dürften im Jahresverlauf die staatlichen Preisbremsen für Gas und
Strom, die vom 1. März an rückwirkend zum 1. Januar 2023 gelten.
Die Bundesregierung rechnet im Jahresschnitt 2023 mit einer
Teuerungsrate von 6,0 Prozent. Die Bundesbank erwartet nach jüngsten
Angaben einen Rückgang der Inflation in Deutschland - gemessen am für
die Geldpolitik im Euroraum maßgeblichen harmonisierten
Verbraucherpreisindex (HVPI) - auf einen Wert zwischen 6 und 7
Prozent im laufenden Jahr. Im Februar lag der HVPI in Europas größter
Volkswirtschaft den vorläufigen Berechnungen der Wiesbadener
Statistiker zufolge um 9,3 Prozent über dem Vorjahresmonat.
Die Welle der Preiserhöhungen ebbt unterdessen ab. Der monatlichen
deutschlandweiten Unternehmensumfrage des Ifo-Instituts zufolge
wollen in den nächsten drei Monaten deutlich weniger Firmen ihre
Preise erhöhen als zuletzt. «Die Unternehmen haben einen Großteil der
gestiegenen Kosten bereits an ihre Kunden weitergegeben, gleichzeitig
lässt die Nachfrage in nahezu allen Wirtschaftsbereichen nach»,
resümierte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. «Damit dürfte de
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Inflationsdruck in den kommenden Monaten abnehmen.» Die schlechte
Nachricht für Verbraucher: Nach wie vor planen vergleichsweise viele
Einzelhändler Preiserhöhungen. Auch die Mehrheit der Gastronomen und
Reiseveranstalter wollen demnach Dienstleistungen weiter verteuern.
Die Bundesbank ihrerseits würde für den entschlossenen Kampf gegen
die Inflation auch Verluste in Kauf nehmen. «Auf der Grundlage
verschiedener Berechnungen dürfte unsere Risikovorsorge auch im
laufenden Jahr noch ausreichen», sagte Nagel. «In den Folgejahren
werden die Belastungen unsere finanziellen Puffer aber wahrscheinlich
übersteigen.» Somit könnte in der Bundesbank-Bilanz für das Jahr 20
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erstmals seit 1979 ein Verlust stehen.
«Die Kernbotschaft, die für uns als Notenbank wichtig ist: Wir haben
unseren Job zu machen, wir haben unser Mandat zu erfüllen:
Preisstabilität», betonte Nagel. «Da kann es durchaus Phasen geben,
Jahre geben, in denen man auch damit zu leben hat, dass
möglicherweise die Rückstellungen (...) aufgezehrt werden und wir
dann Verluste ausweisen.»
Im vergangenen Jahr konnte die Bundesbank einen Verlust dadurch
vermeiden, dass sie rund eine Milliarde Euro aus ihrer Risikovorsorge
einsetzte. Unter dem Strich stand zum dritten Mal in Folge eine Null,
somit bekommt der Bund erneut keine Überweisung aus Frankfurt.