Gentechnik in Lebensmitteln: EU-Kommission plant deutliche Lockerung

16.06.2023 16:13

Im Juli wird die EU-Kommission voraussichtlich ihre Pläne für eine
Überarbeitung der europäischen Gentechnikregeln vorstellen. Nun ist
ein Entwurf für das Vorhaben bekanntgeworden, von dem auch
Verbraucher direkt betroffen sein könnten.

Brüssel (dpa) - Manche gentechnisch veränderten Lebensmittel könnten

einem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zufolge künftig ohne
Kennzeichnung auf den Markt kommen. Das geht aus einem bislang
unveröffentlichten Verordnungsentwurf der Kommission hervor, der der
Deutschen Presse-Agentur in Brüssel vorliegt. Demnach will die
Behörde vorschlagen, bestimmte gentechnisch veränderte Pflanzen von
den strengen EU-Gentechnikregeln auszunehmen. Befürworter hoffen,
dass die Technik dann mehr Verbreitung findet und Nutzpflanzen
dadurch beispielsweise besser gegen Schädlinge geschützt oder an die
zunehmende Klimaerwärmung angepasst werden können.

Offiziell vorgestellt werden soll das Vorhaben voraussichtlich im
Juli. In Berlin treffen die Pläne eher auf Kritik, es gibt aber auc
h
positive Stimmen.

Konkret bedeuten die geplanten Regeln, dass etwa Verfahren wie die
Crispr/Cas-Genschere keinen EU-Gentechnikregeln unterliegen, wenn die
dadurch entstandene Sorten auch durch Verfahren wie Kreuzung oder
Auslese hätten entstehen können. Solche Züchtungen würden den Plä
nen
zufolge unter die sogenannte Kategorie 1 der durch neue Techniken
(NGT) gezüchteten Pflanzen fallen. Für die Bio-Landwirtschaft gelten
die strengen Gentechnikregeln dem Vorhaben zufolge weiterhin.
Beschlossen ist das Vorhaben noch nicht, es muss noch offiziell
vorgestellt werden und dann von den EU-Staaten und dem
Europaparlament verhandelt werden.

Ob sich die Bundesregierung gegen das Vorhaben stark macht, ist
jedoch unklar. Das von den Grünen geführte Bundesumweltministerium
hatte sich in der Vergangenheit zwar skeptisch zu Lockerungen der
Gentechnikregeln geäußert, dagegen signalisiert das von der FDP
geführte Bundesforschungsministerium grundsätzliche Unterstützung.
«Wir sollten die enormen Chancen nutzen, die in neuen
Züchtungstechnologien stecken», sagte Ministerin Bettina
Stark-Watzinger am Freitag.

Aus dem vom Grünen Cem Özdemir geführten Agrarministerium hie
ß es,
gentechnisch veränderte Pflanzen sollten eine Risikoprüfung
durchlaufen, gekennzeichnet werden und rückverfolgbar sein.
Der Vizechef der SPD-Fraktion im Bundestag, Matthias Miersch, spricht
sich klar gegen die Pläne der EU-Kommission zur Lockerung
der Gentechnikregeln aus. Sollte der bekannt gewordene Vorschlag
Realität werden, wäre dies das Ende der Wahlfreiheit für
Verbraucherinnen und Verbraucher und für die gentechnikfreie
Lebensmittelwirtschaft, sagte er am Freitag.

In Artikel 8 des Entwurfs heißt es: Die Mitgliedstaaten dürfen die
absichtliche Freisetzung oder das Inverkehrbringen von NGT-Pflanzen
des Typs 1 nicht durch Anforderungen verbieten oder einschränken.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Karl Bär sieht darin einen
«Frontalangriff» auf das Modell der europäischen Landwirtschaft.

«Pflanzen mit bis zu 20 gentechnischen Veränderungen sollen als
gleichwertig mit konventionell gezüchteten Pflanzen gelten», sagte
der gelernte Agrarökonom zu den bekanntgewordenen Entwürfen. Darunter
seien auch Veränderungen, die weit über das Potenzial der
klassischen Züchtungen hinaus gingen. «Der Vorschlag wäre das Ende

der ökologischen Landwirtschaft», befürchtete er. Diese müsste sich

mit immer mehr Aufwand vor Kontamination etwa durch von Wind
verwehte Samen schützen.