EU-Parlament stimmt mit Mehrheit für Naturschutzgesetz

12.07.2023 16:37

Showdown im EU-Parlament: In einer Kampfabstimmung um ein
umstrittenes Naturschutzgesetz können sich die Christdemokraten nicht
durchsetzen. Es gibt eine Mehrheit für das Vorhaben. Final
beschlossen ist das Gesetz aber noch nicht.

Straßburg (dpa) - In der EU sollen nach dem Willen des EU-Parlaments
künftig mehr Bäume in Städten gepflanzt, mehr Wälder
wiederaufgeforstet und Flüsse wieder in ihren natürlichen Zustand
versetzt werden. Das Parlament hat sich am Mittwoch für ein heftig
diskutiertes Naturschutzgesetz für die Europäische Union
ausgesprochen. Nach wochenlangen Debatten stimmten die Abgeordneten
in Straßburg am Mittwoch mit einer Mehrheit von 336 Ja- zu 300
Nein-Stimmen für das Projekt, wie Parlamentspräsidentin Roberta
Metsola bekanntgab.

Damit könnte das Vorhaben - ein wichtiger Baustein der
EU-Umweltpolitik - noch vor den Europawahlen im kommenden Jahr
verabschiedet werden. Sicher ist dies aber nicht. Mit der Zustimmung
des Parlaments können nun aber die Verhandlungen mit den ebenfalls
beteiligten EU-Staaten beginnen. Diese hatten sich vor gut drei
Wochen auf eine Position zu dem Vorhaben verständigt. Nun muss noch
ein endgültiger Kompromiss gefunden werden, damit die neuen Vorgaben
in Kraft treten können.

Das Naturschutzgesetz geht auf einen Vorschlag der EU-Kommission
zurück. Sie hatte vor gut einem Jahr einen Entwurf zum sogenannten
Gesetz zur Wiederherstellung der Natur präsentiert, wonach es bis
2030 für mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresgebiete der EU
sogenannte Wiederherstellungsmaßnahmen geben soll. Auch Maßnahmen wie
mehr Blühstreifen, damit Bestäuber wie Bienen besser überleben
können, sind vorgesehen.

Vor allem die Christdemokraten waren gegen das Vorhaben Sturm
gelaufen. Auch die rechtsnationale ID-Fraktion, der etwa die AfD
angehört, andere Konservative sowie einige Liberale hatten sich vor
der Abstimmung gegen das Gesetz ausgesprochen.

Das Parlament hat auch an mehreren Stellen den Vorschlag der
Kommission abgeschwächt: So ist etwa keine Renaturierung von Mooren,
die trockengelegt wurden, mehr vorgesehen und auch umstrittene
Auflagen für Landwirte wurden gestrichen.

«Es ist absurd, dass wir für das absolute Minimum kämpfen müssen»
,
sagte die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg kurz nach der
Abstimmung. Sie war nach Straßburg gereist, um sich für das Vorhaben
stark zu machen. Das Gesetz sei durch das Parlament sehr abgeschwächt
worden. Auch der Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion im EU-Parlament,
Philippe Lamberts, sprach davon, dass das Gesetz aufgeweicht worden
sei. «Aber wenigstens haben wir die Verpackung gerettet», sagte der
Belgier. Diese müsse jetzt gefüllt werden.

Vor allem die Christdemokraten unterstützten die Sorge großer
Bauernverbände, dass Landwirte durch Vorgaben zu sehr eingeschränkt
werden könnten. Am Ende entschieden wohl die Stimmen der Liberalen
und einiger EVP-Abweichler über den Ausgang der Abstimmung. Die
Mehrheit der Liberalen stimmte schließlich dem Gesetz zu. Die
FDP-Abgeordneten im EU-Parlament stimmten geschlossen dagegen.

Die Grünen in Deutschland begrüßten das Abstimmungsergebnis.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke sagte: «Das ist ein Riesenerfolg
für die Natur - und für uns alle.» Von der Parteivorsitzenden Ricarda

Lang hieß es am Mittwoch in Berlin, man schütze mit dem Gesetz die
Umwelt, stärke Artenschutz und Biodiversität - und den Klimaschutz.
«Denn die Natur ist unsere beste Verbündete im Einsatz gegen die
Klimakrise».

Dem Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber
(CSU), hielt Lang einen «Schulterschluss mit rechten Kräften» vor. Im

Parlament stimmten auch Konservative und die rechtsnationale
ID-Fraktion gegen das Gesetz. Ähnlich äußerte sich der
SPD-Fraktionsvize Achim Post. Zudem sagte er: «Vernunft und
Fortschritt haben sich heute im Europaparlament durchgesetzt.»

Weber sagte nach der Abstimmung: «Wir waren sehr nah dran.» Er
erklärte, er respektiere die demokratischen Verfahren der EU. Man
werde weiterhin am Verhandlungstisch offene Fragen ansprechen. Auch
EU-Kommissionsvize Frans Timmermans signalisierte
Gesprächsbereitschaft für die anstehenden Trilog-Verhandlungen, bei
denen die EU-Staaten, das Parlament und die EU-Kommission die genauen
Details des Gesetzes endgültig aushandeln: «Wie immer biete ich der
EVP meine offene Hand, um Kompromisse zu finden, die auch für sie
akzeptabel sind», sagte er nach der Abstimmung. Christdemokraten
hatten ihm zuvor vorgeworfen, ein schlechtes Gesetz eingebracht zu
haben.

Für das sogenannte Gesetz zur Wiederherstellung der Natur hatten sich
abseits der Politik auch zahlreiche große Unternehmen wie Ikea und
H&M sowie auch Lebensmittelkonzerne wie Unilever und Nestlé
ausgesprochen. Zudem warben Umweltschutzorganisationen,
Wissenschaftler, Verbraucherschützer und auch einige
Bauernorganisationen dafür.