Auswärtiges Amt fördert Seenotretter weiter - trotz Scholz' Skepsis Von Sophia Weimer, Michael Fischer und Anne-Béatrice Clasmann, dpa

08.10.2023 14:08

Erst am Freitag lässt der Bundeskanzler durchblicken: Er distanziert
sich von der öffentlichen Finanzierung der Seenotrettung. Wenig
später gibt es Berichte, das Geld könne gestrichen werden.

Berlin (dpa) - Die Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer soll
weiterhin mit deutschen Steuergeldern unterstützt werden - trotz der
Skepsis von Kanzler Olaf Scholz (SPD). «Das Auswärtige Amt setzt den
Auftrag des Bundestags zur Förderung ziviler Seenotrettung mit
Projekten an Land und auf See um», teilte ein Sprecher des von den
Grünen geführten Auswärtigen Amtes der Deutschen Presse-Agentur am
Samstag mit. Zuvor hatte es anderslautende Medienberichte gegeben,
wonach das Geld für die Seenotrettung gestrichen werden solle.

Das sei nicht korrekt, sagte der Sprecher. «Aufgrund eines
technischen Versehens ist im derzeitigen Entwurf des Haushaltsplans
2024 die explizite Veranschlagung der entsprechenden Haushaltsmittel
zunächst nicht erfolgt», sagte er weiter. Es sei schon seit einigen
Wochen geplant, diesen Fehler zu korrigieren.

Der vom Bundestag im vergangenen November beschlossene Haushalt für
das laufende Jahr sieht Mittel in Höhe von zwei Millionen Euro für
die Seenotrettung und für Projekte an Land für Gerettete vor. Nach
Angaben des Auswärtigen Amtes ist eine Förderung auch für die Jahre
2024 bis 2026 mit Verpflichtungsermächtigungen des Bundestages
vorgesehen, die man umsetzen werde. Die Pläne für die kommenden drei
Jahre mit Ausgaben in Höhe von insgesamt sechs Millionen Euro sind
zunächst allerdings unverbindlich. Sie könnten bei den noch nicht
abgeschlossenen Haushaltsverhandlungen für 2024 und bei späteren
Verhandlungen über die Etats von 2025 und 2026 noch geändert werden.

Doch nun sendet die Ampel-Koalition unterschiedliche Signale zur
fortlaufenden Unterstützung der Seenotrettung. Erst am Freitag hatte
sich Bundeskanzler Scholz davon distanziert. Auf einer
Pressekonferenz nach dem informellen EU-Gipfel in Granada betonte er,
dass die Gelder vom Bundestag und nicht von der Bundesregierung
bewilligt worden seien. «Ich habe den Antrag nicht gestellt», sagte
er. Auf die Nachfrage, was denn seine persönliche Meinung dazu sei,
fügte er hinzu: «Das ist die Meinung, die ich habe, dass ich den
Antrag nicht gestellt habe. Und ich glaube, das ist auch
unmissverständlich.»

Zuvor hatte sich Scholz am Rande des Gipfels mit der italienischen
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni getroffen, die sich vor wenigen
Tagen in einem Brief an den Kanzler über die Finanzierung beschwert
hatte. Die Hilfen hatten auch die Verhandlungen über eine Reform des
europäischen Asylsystems belastet.

Die SPD-Fraktion, der Scholz als Bundestagsabgeordneter angehört, hat
die Förderung allerdings mitbeschlossen. Aus gutem Grund habe man im
Koalitionsvertrag festgehalten, dass die zivile Seenotrettung nicht
behindert werden dürfe, sagte die stellvertretende Juso-Vorsitzende
Sarah Mohamed der Deutschen Presse-Agentur. Auch der
SPD-Parteivorstand habe erst im Juni erneut eine Unterstützung
ziviler Seenotrettung beschlossen. «Wir erwarten, dass der Beschluss
des Haushaltsausschusses, acht Millionen Euro für zivile
Seenotrettung bereitzustellen, auch genau so umgesetzt wird und
langfristig mindestens eine Verstetigung der Mittel erfolgt», sagte
Mohamad und fügte mit Blick auf die Äußerungen von Scholz hinzu:
«Dass die Haltung des Bundeskanzleramtes dazu nun ins Wanken kommt,
weil Rechtsradikale sich über das Retten von Menschenleben
beschweren, ist ein katastrophales Zeichen.»

Auch die Grünen-Politikerin Jamila Schäfer sieht keine Veranlassung,
die geplanten Ausgaben für die zivile Seenotrettung zu streichen. «In
diesem Land ist der Bundestag der Gesetzgeber - das gilt, und das ist
gut so», sagte Schäfer, die Mitglied des Haushaltsausschusses des
Bundestages ist, am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. «Ein
parlamentarischer Beschluss kann nicht durch Pressearbeit ausgehebelt
werden.»

Ganz anders sieht das die FDP. «Ich teile die Auffassung des
Bundeskanzlers, dass deutsches Steuergeld keinen Beitrag zum perfiden
System der Schleuserkriminalität leisten sollte», teilte
FDP-Fraktionschef Christian Dürr der dpa mit. Der Deutsche Bundestag
als Haushaltsgesetzgeber werde sich damit in den kommenden Wochen
befassen.

Sein Vize Christoph Meyer kritisierte, die «Aktivitäten» von
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) seien fragwürdig und
realitätsfremd. Eine weitere Finanzierung der privaten Seenotrettung
an Afrikas Küsten durch das Außenministerium dürfe es nicht mehr
geben. Das befördere Schleuserkriminalität und untergrabe die
deutschen und europäischen Bemühungen, die illegale Migration
einzudämmen.

Nach Angaben des Auswärtigen Amts haben drei Organisationen vom Bund
Zusagen für die Seenotrettung und Versorgung von Migranten in Italien
bekommen. Insgesamt stünden für das laufende Jahr zwei Millionen Euro
zur Verfügung. Erste Auszahlungen sollten an ein Projekt der
christlichen Gemeinschaft Sant'Egidio zur Versorgung von Geretteten
an Land gehen, weitere Mittel an die Seenotrettungs-Organisationen
SOS Humanity und Sea-Eye. Es handele sich jeweils um Summen zwischen
300 000 und 800 000 Euro.