Studie: Deutsche Lebensarbeitszeit im EU-Vergleich niedrig

27.10.2023 08:39

Die deutsche Bevölkerung steht nach einer neuen Studie vom
Berufseinstieg bis zur Rente im Schnitt fast vier Jahrzehnte im
Arbeitsleben. Dennoch ist der Untersuchung zufolge die gesamte
Lebensarbeitszeit im EU-weiten Vergleich niedrig.

München (dpa) - Die mit Arbeit verbrachte Lebenszeit in Deutschland
ist nach einer neuen Studie so kurz wie in keinem anderen EU-Land
außer Luxemburg. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland
arbeiten demnach im Laufe ihres Lebens im Schnitt geschätzte 52 662
Stunden, wie das Münchner Roman Herzog Institut (RHI) für die am
Freitag veröffentlichte Untersuchung errechnet hat.

In den 27 EU-Ländern dagegen sind es demnach im Schnitt 57 342
Stunden. Die meiste Zeit mit Arbeit verbringen laut Studie die
Einwohner Estlands mit geschätzten 71 331 Stunden.

Das Institut ist die Denkfabrik der Vereinigung der bayerischen
Wirtschaft und der Metallarbeitgeberverbände im Freistaat. Anlass der
Studie waren die Diskussionen um Fachkräftemangel, Vier-Tage-Woche
und die Erhöhung des Rentenalters. Die Autoren zogen für die
Berechnungen Daten der OECD und der EU-Statistikbehörde Eurostat
heran.

Europaweit gibt es demnach immense Unterschiede sowohl bei der
jährlichen als auch der Lebensarbeitszeit. Bei reiner Betrachtung der
Jahrzehnte, die ein Mensch durchschnittlich im Arbeitsleben
verbringt, liegt Deutschland mit 39,3 Jahren im oberen Drittel. Am
längsten arbeiten demnach die Isländer mit 45,4 Jahren, im EU-Schnitt
sind es 36,5 Jahre. Die wenigsten Jahre im Beruf fallen demnach in
Rumänien mit lediglich 31,5 Jahren an.

In Deutschland ist laut RHI außerdem ein überdurchschnittlich hoher
Anteil von 77,3 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter auch
tatsächlich werktätig, im Schnitt der EU-27 sind es 70,3 Prozent.
Andererseits ist der Studie zufolge die jährliche Arbeitszeit in
Deutschland mit geschätzt 1340 Stunden sehr niedrig; daraus erklärt
sich dann auch die niedrige Schätzung der Gesamtstundenzahl eines
ganzen Arbeitslebens.

In die Studie flossen auch Daten einiger nicht zur EU zählenden
Staaten wie Großbritannien und Island ein. Die Autoren verweisen
darauf, dass die Daten aus den einzelnen Ländern wegen Unterschieden
bei der statistischen Erhebung eingeschränkt vergleichbar sind und es
sich daher um Schätzwerte handelt.

Ebenso wie viele Ökonomen plädieren die Autoren angesichts von
Fachkräftemangel und finanzieller Belastung der Rentenkasse für eine
weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters über die 67 Jahre hinaus,
die ab 2031 gelten soll. Daneben empfehlen sie der Bundesregierung,
mehr Anreize für freiwilliges Arbeiten - auch in Teilzeit - im
Rentenalter zu setzen. Die sogenannten «silver worker» könnten
demnach den Fachkräftemangel zumindest teilweise ausgleichen.

Die Auftraggeber bei der bayerischen Wirtschaft verweisen darauf,
dass in mehreren Ländern mit hohen Lebensarbeitszeiten - etwa in der
Schweiz - nach Umfragen auch die Lebenszufriedenheit hoch ist.
«Länger und mehr arbeiten muss nicht zu einer schlechteren
Work-Life-Balance und geringerer Lebenszufriedenheit führen», sagte
RHI-Vorstandsvorsitzender Randolf Rodenstock. «Der Wunsch vieler
Menschen, weniger zu arbeiten und früher in Rente zu gehen, passt
nicht in die Zeit des demografischen Wandels.»