Nächster Ampel-Streit: Glyphosatzulassung in der EU wird verlängert Von Marek Majewsky, dpa

16.11.2023 16:38

Lange wurde gestritten, jetzt gibt es eine Entscheidung: Im
Alleingang entscheidet die EU-Kommission, dass der umstrittene
Unkrautvernichter Glyphosat weitere zehn Jahre in der EU genutzt
werden darf. Möglich wurde das durch die Uneinigkeit der EU-Staaten.

Brüssel (dpa) - Der umstrittene Unkrautvernichter Glyphosat wird in
der EU weitere zehn Jahre zugelassen. Minuten nach einem Treffen mit
Vertretern der EU-Staaten hinter verschlossenen Türen verkündete
die EU-Kommission am Donnerstag die kontroverse Entscheidung. Die
Mitgliedsländer der EU hätten das zwar verhindern können, dafür gab

es aber keine ausreichende Mehrheit. Die derzeitige Zulassung wäre
Mitte Dezember ausgelaufen - bis dahin muss die EU-Kommission die
Zulassung auch formell erneuert haben.

Damit Risiken für Menschen, Tiere und Umwelt möglichst gering
gehalten werden, soll es laut EU-Kommission Einschränkungen geben,
wie das Mittel eingesetzt werden darf. Dazu gehören laut der Behörde
unter anderem Maßnahmen zum Schutz von Tieren und Pflanzen, die nicht
das eigentliche Ziel des Glyphosat-Einsatzes sind. Es soll auch
verboten werden, Glyphosat als Trockenmittel vor der Ernte
einzusetzen.

Die alleinige Verantwortung will die Kommission aber offensichtlich
nicht übernehmen. In einer Mitteilung wird explizit darauf
hingewiesen, dass die EU-Staaten Glyphosat weiterhin auf nationaler
und regionaler Ebene einschränken könnten. Inwiefern solche
Einschränkungen aber nach der Entscheidung der Kommission rechtlich
haltbar sind, ist fraglich. Luxemburg hatte die Verwendung
von Glyphosat zu verbieten versucht. Das wurde aber gerichtlich
gekippt, unter anderem weil Luxemburg das Verbot nicht ausreichend
begründet hatte.

Wie es in Deutschland weiter geht, ist nicht abschließend
geklärt. Im  Koalitionsvertrag der Regierungsparteien SPD, Grüne un
d
FDP heißt es: «Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt.» Das i
st
aber mittlerweile fraglich. So sagte die FDP-Fraktionsvize Carina
Konrad der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag,
Bundesagrarminister Cem Özdemir sei nun gefragt, die zehnjährige
Verlängerung von Glyphosat in Deutschland umzusetzen.

Özdemir ist einer der wichtigsten Befürworter, Glyphosat vom Markt zu

nehmen. Der Grüne sagte, er gehe davon aus, dass alle drei Partner
sich dem Koalitionsvertrag verpflichtet fühlten «und das jetzt
gemeinsam umsetzen». Im Rahmen dessen, was Brüssel festgelegt habe,
solle der nationale Spielraum genutzt werden.

Wie die SPD in Berlin zu dem Thema steht, ist laut Özdemir unklar. Er
sagte, ihm sei keine «irgendwie geartete Positionierung» des
Koalitionspartners bekannt. Auf Anfrage teilte Matthias Miersch,
SPD-Fraktionsvize, mit, entscheidend sei, welches weitere Vorgehen
das Agrarministerium vorschlage. Die SPD-Europaabgeordneten Delara
Burkhardt und Maria Noichl kritisierten die bevorstehende
Verlängerung.

Freude gab es aufseiten der Union. So bezeichnete der Vorsitzende des
Agrarausschusses im EU-Parlament, Norbert Lins (CDU), die
Verlängerung als einen wichtigen Schritt für die europäische
Landwirtschaft.

Streit gibt es unter anderem darüber, ob Glyphosat krebserregend sein
könnte. Zudem stehen Gefahren für die Umwelt im Raum. Eine aufwendige
Untersuchung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit
(Efsa) hatte jüngst keine inakzeptablen Gefahren gesehen, aber auf
Datenlücken in mehreren Bereichen hingewiesen.

Zu den Aspekten, die nicht abschließend geklärt wurden, gehören laut

Efsa ernährungsbedingte Risiken für Verbraucher und die Bewertung der
Risiken für Wasserpflanzen. Auch mit Blick auf den Artenschutz ließen
die verfügbaren Informationen keine eindeutigen Schlussfolgerungen
zu.

Glyphosat wird auch als Totalherbizid bezeichnet, es lässt Pflanzen
absterben. Wo Glyphosat versprüht wird, sterben Gräser, Sträucher
oder Moos. Das Mittel wird vor allem in der Landwirtschaft
eingesetzt, um ein Feld frei von Unkraut zu halten, bevor
Nutzpflanzen ausgesät werden.

Der Glyphosat-Hersteller Bayer begrüßte die Entscheidung der
EU-Kommission. «Diese erneute Genehmigung ermöglicht es uns,
Landwirten in der gesamten Europäischen Union weiterhin eine wichtige
Technologie für die integrierte Unkrautbekämpfung zur Verfügung
stellen zu können», teilte der Leverkusener Konzern mit.

Umweltverbände und Grüne sehen das Mittel kritisch. «Der Schutz der
Gesundheit von Millionen Europäerinnen und Europäern muss vor den
Konzerninteressen Bayers stehen», teilte die Europaabgeordnete Jutta
Paulus (Grüne) mit. Christine Vogt vom Umweltinstitut München sagte,

der Kommission fehle eindeutig das politische Mandat, das Pestizid
weiterhin zuzulassen.

Dass sich Deutschland bei der Abstimmung am Donnerstag in Brüssel
wegen unterschiedlicher Ansichten innerhalb der Bundesregierung
enthalten hat, stößt auch auf Kritik. «Die Grünen sind erneut von d
er
blockierenden FDP eingeknickt, und die SPD hat tatenlos dabei
zugeschaut», sagte Chris Methmann von der Verbraucherorganisation
Foodwatch. Das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag nicht
einzuhalten und dann nicht gegen die Verlängerung zu stimmen, sei
scheinheilig und eine Täuschung der Wählerinnen und Wähler.