«Merde alors!» - Luxemburger Jean Asselborn ganz ohne Amt Von Birgit Reichert, dpa

17.11.2023 10:29

Zwei Jahrzehnte war Jean Asselborn die Stimme Luxemburgs in der Welt.
Der dienstälteste Außenminister Europas quittiert jetzt den Dienst.

Luxemburg (dpa) - Er ist einer der im Ausland bekanntesten
Luxemburger. Und daheim im Großherzogtum kann sich eine ganze
Generation nicht daran erinnern, dass es jemals einen anderen
Außenminister gab. Jean Asselborn (74), mehr als 19 Jahre lang
Außenminister seines Landes, verabschiedet sich aus seinem Amt. In
der neuen christlich-liberalen Regierung von Premierminister Luc
Frieden ist für den Sozialdemokraten kein Platz mehr. «Ich wusste ja,
dass nach fast 20 Jahren einmal Schluss sein muss», sagt er. «Ich
glaube, ich werde das meistern.»

Seit Freitag hat Luxemburg einen neuen Außenminister: Der Liberale
Xavier Bettel, zuvor zehn Jahre lang Premierminister in Luxemburg,
hat den Staffelstab von Asselborn übernommen.

Als Asselborn 2004 Außenminister wurde, hießen seine Amtskollegen
noch Condoleezza Rice (USA) oder Joschka Fischer (Deutschland).
Seither, so haben ihm Mitarbeiter ausgerechnet, habe er 241
Außenminister anderer Länder kommen und gehen sehen. «Ich war 48-mal

in New York und 80-mal in Berlin», sagt er. Vor acht Wochen habe er
sich mit sieben Kolleginnen und Kollegen fotografieren lassen - von
denen seien jetzt nur noch vier im Amt: «Das dreht so schnell.» Schon
seit 2010 war er dienstältester Außenminister der EU.

Im Oktober wurde er wieder ins Parlament gewählt, dem er schon 20
Jahre angehörte - aber das Mandat nahm er nicht an. Denn Asselborn
war auch für Migration zuständig. Dass EU-Länder nach dem Fall von
Kabul im August 2021 keine afghanischen Flüchtlinge aufnehmen
wollten, sei für ihn «eine meiner größten Enttäuschungen» gewes
en:
«Das hat mich geschockt.» Und auch jetzt gebe es wieder «dieses
Chaos» in Sachen Migration: «Das hat mir sehr zugesetzt.» Er habe
gespürt: «Du darfst nicht überziehen, sonst geht die Kerze einmal
aus.» Also habe er auf sein Mandat verzichtet.

Asselborn, der die Schule vorzeitig verließ, bei einer Reifenfirma
arbeitete und später auf dem zweiten Bildungsweg ein Jurastudium in
Nancy (Frankreich) abschloss, wird als Mann klarer Worte geschätzt -
und gefürchtet. Besonders, wenn ihm etwas ans Herz geht: Als Italiens
damaliger Innenminister Matteo Salvini sagte, dass er keine
Flüchtlinge aufnehmen wolle, hielt ihm Asselborn eine Standpauke über
die in Luxemburg lebenden einstigen italienischen Gastarbeiter, die
er mit den Worten «Merde alors!» beschloss - was man freundlich auch
als «Verdammter Mist» übersetzen kann.

Salvinis Versuch, Asselborn mit einem Video des Vorfalls zu
diskreditieren, ging nach hinten los: «Merde alors» wurde in
Luxemburg stolz per T-Shirt oder Kaffeetasse vermarktet.

In Fragen der Menschenrechte zeigte sich Asselborn immer unbeugsam.
Es sei eine Schwäche der EU, dass Ungarn und Polen «sehr große
Probleme in der Rechtsstaatlichkeit» gemacht hätten. «Russland zeigt,

wohin ein Land treibt, wenn die Rechtsstaatlichkeit nicht mehr
funktioniert. Da dürfen wir keinen Millimeter nachgeben.»

Der russische Überfall auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 und der
Hamas-Angriff auf Israel vom 7. Oktober seien zwei Daten, «wo ich
vermutlich nicht der einzige Außenminister bin, der sagt: Was haben
wir alles falsch gemacht, dass solche Entwicklungen passieren?» Nun
müsse man versuchen, das Beste aus der Situation zu machen.
Versäumnisse? Die EU hätte mit mehr Nachdruck für die
Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten arbeiten müssen, «dann gäbe es
keine Hamas in dieser Form».

Dass die EU schwach sei - das würde er nicht sagen. «Wir sehen
ungefähr acht oder zehn Länder, die an unsere Tür klopfen, um
Mitglied zu werden. Es kann also kein Zeichen sein, dass wir schwach
sind», sagt er. Und dass es die EU noch gebe, «das ist schon positiv
zu bewerten». Schließlich habe sie schon viele Krisen überstanden:
Von der Verfassungskrise über die Euro-Krise bis hin zum Brexit.

Asselborn hat künftig mehr Zeit für sein Rennrad, mit dem er jede
Woche gerne mehr als 400 Kilometer fährt, um fit zu bleiben. Aber er
hat auch schon Termine für die Zeit als Minister außer Dienst. Und:
«Ich muss selbst telefonieren, selbst fahren und alles selbst
organisieren.» Am wenigsten vermissen werde er «das Innere von
Flugzeugen: Ich habe da Monate meines Lebens zugebracht».