In der Ampel knirscht es - FDP blockiert EU-Vorhaben Von Andreas Hoenig, dpa

08.02.2024 15:20

Mit einem Selfie wollten Habeck und Lindner Harmonie demonstrieren.
Die Streitigkeiten in der Ampel können sie aber nicht weglächeln.

Berlin (dpa) - Als «Fortschrittskoalition» ist die Ampel angetreten,
nach mehr als zwei Jahren im Amt überschatten erneut viele Konflikte
ihre Arbeit. Die FDP blockiert Vorhaben auf EU-Ebene, zu wichtigen
Themen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt es einen
Grundsatzstreit. Dabei hatte sich die Koalition aus SPD, Grünen und
FDP eigentlich vorgenommen, harmonischer zu arbeiten.

FDP stellt sich quer bei EU-Vorhaben

Die Liberalen blockieren aktuell insbesondere zwei Vorhaben. Dabei
geht es um neue und schärfere Vorgaben für den CO2-Ausstoß von
Lastwagen und Bussen in der EU. Die FDP will ihr Veto gegen eine
eigentlich bereits ausverhandelte Verordnung einlegen. Sie verlangt
einen stärkeren Einsatz klimaneutraler Kraftstoffe und pocht auf
«Technologieoffenheit». In anderen Ministerien rätselt man aber übe
r
die wahren Beweggründe. Die geplante Verordnung sei bereits
technologieoffen. Geht es der FDP darum, sich als Partei des
Verbrenners zu positionieren und damit angesichts schlechter
Umfragewerte ihr Profil zu schärfen?

Am Donnerstag kam es auf Betreiben des Kanzleramts zu einem digitalen
Gespräch zwischen Vertretern mehrerer Ministerien und
Unternehmensvertretern. Aus Teilnehmerkreisen verlautete danach, die
Mehrheit der anwesenden Vertreter von Herstellern und Zulieferern
habe die Bundesregierung aufgefordert, den neuen Flottengrenzwerten
zuzustimmen. Lkw-Käufer brauchten Planungssicherheit, sonst zögerten
sie beim Kauf von E-Lastwagen.

Am Freitag ist eine Abstimmung auf EU-Ebene geplant - ob noch ein
Ausweg gefunden werden kann und ob das Vorhaben bei einer deutschen
Enthaltung überhaupt durchkommt, ist offen.

Bereits klar scheint, dass sich Deutschland bei der Abstimmung über
ein geplantes EU-Lieferkettengesetz enthält - auf Druck der FDP, die
Nachteile für die deutsche Wirtschaft befürchtet. Auch hier könnte
eine deutsche Enthaltung das gesamte Regelwerk scheitern lassen, weil
in Brüssel die dafür notwendige Mehrheit auf der Kippe steht.

Am Mittwoch platzte deswegen Außenministerin Annalena Baerbock
(Grüne) der Kragen. Sie machte deutlich, Deutschlands Verlässlichkeit
in der EU stehe auf dem Spiel und sagte: «Wenn wir unser einmal in
Brüssel gegebenes Wort brechen, verspielen wir Vertrauen.»  Die
Chefverhandlerin des Europaparlaments für das EU-Lieferkettengesetz,
die niederländische Abgeordnete Lara Wolters, sagte, man werde in der
EU versuchen, um Deutschland herum Mehrheiten zu bilden und
Deutschland wegen des Verhaltens der FDP nicht mehr beim Wort nehmen.
 

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält sich bei den Streitfragen bisher
zurück - um den Koalitionsfrieden zu retten?  Am Donnerstag
vergangener Woche sagte der Chef der «Fortschrittskoalition» mit
Blick auf den Streit um das EU-Lieferkettengesetz: «Der Fortschritt
ist eine Schnecke.»   

Streit in Wirtschafts- und Finanzpolitik

Es gibt noch andere große Brocken in der Ampel. Zwar sind sich
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister und
FDP-Chef Christian Lindner in der Analyse einig. Angesichts der
Konjunkturflaute und struktureller Probleme wie einer im
internationalen Vergleich hohen Steuerlast und hohen Energiepreisen
müssten Unternehmen in Deutschland entlastet werden, um sich auch
künftig auf den Weltmärkten behaupten zu können.

Aber wie Entlastungen aussehen sollen, darüber gibt es
unterschiedliche Vorstellungen. Habeck will ein milliardenschweres,
schuldenfinanziertes Sondervermögen, um zum Beispiel
Steuergutschriften für Investitionen in den Klimaschutz zu
ermöglichen. Ein von der Bundesregierung geplantes Wachstumspaket
könnte in einem Vermittlungsverfahren zwischen Bundesrat und
Bundestag ziemlich gerupft werden. 

Die FDP aber lehnt mehr Schulden ab, wie auch eine Reform der
Schuldenbremse. Sie schlägt neben weniger Bürokratie unter anderem
vor, den Solidaritätszuschlag komplett zu streichen, was bei SPD und
Grünen umstritten ist. 

Doch nicht nur in der Wirtschafts- und Finanzpolitik tun sich Gräben
in der Koalition auf. Auch in der Energiepolitik ist vieles unklar -
zum Beispiel, ob es Unterstützung für Solarfirmen geben soll, damit
diese angesichts der Billigkonkurrenz aus China weiter in Deutschland
produzieren. Zurückhaltend ist die FDP auch bei Plänen aus dem
Agrarministerium von Ressortchef Cem Özdemir (Grüne) für eine neue
Verbrauchssteuer - einen «Tierwohlcent» als Preisaufschlag für
Fleisch im Supermarkt, um Bauern beim Umbau der Tierhaltung zu
finanziell zu unterstützen. 

Kritik an FDP

SPD-Fraktionsvize Detlef Müller sagte, es sei gängige Praxis, dass
die Bundesregierung sich bei Entscheidungen in der EU enthalte, wenn
kein Konsens innerhalb der Regierung bestehe. «Ärgerlich ist, wenn
zunächst Zustimmung zu Kompromissen zugunsten der Interessen
Deutschlands signalisiert wird, diese dann aber in letzter Minute
zurückgezogen wird. Das schwächt das Vertrauen in Deutschland und
verschlechtert unsere Verhandlungsbasis. Politik ist mehr, als zu
sagen, was nicht geht.» Sie müsse vor allem verlässlich sein. «Ich

erwarte hier konstruktive Zusammenarbeit seitens unseres
Koalitionspartners.»

Philipp Türmer, Bundesvorsitzender der Jusos, kritisierte: «Die FDP
kennt aktuell insbesondere auf europäischer Ebene nur einen Zustand:
Blockade.» Die Liste an Themen, bei denen sie sich nicht einmal mehr
gesprächsbereit zeige, werde immer länger. «Bisher sorgte das vor
allem dafür, dass die selbst ernannte Fortschrittspartei zu einer
Partei des Stillstands wird.»

Greenpeace-Mobilitätsexperte Benjamin Stephan sagte: «Es ist höchste

Zeit, dass Olaf Scholz die FDP-Posse über Lkw-Grenzwerte zur
Chefsache macht. Der Kanzler muss diese neue Rückwärtsrolle der FDP
stoppen, bevor die Partei mit ihren inszenierten Blockaden
Deutschland in der EU endgültig zu einem unzuverlässigen
Wackelkandidaten macht.»