EU-Gipfel: Mehr Druck auf Israel und mehr Hilfe für die Ukraine

22.03.2024 04:10

Die EU fordert eine Feuerpause in Gaza und stützt die Ukraine im
Abwehrkampf gegen Russland. Neben den beiden Kriegen gibt es aber
auch noch andere wichtige Themen beim Gipfel in Brüssel.

Brüssel (dpa) -  Die EU-Staaten verschärfen ihren Ton gegenüber
Israel und fordern angesichts der dramatischen Notlage der
Zivilbevölkerung im Gazastreifen eine sofortige Feuerpause. Diese
solle zu einem nachhaltigen Waffenstillstand, zur bedingungslosen
Freilassung aller im Gazastreifen festgehaltener Geiseln und zur
Bereitstellung humanitärer Hilfe führen, heißt es in einer am
Donnerstagabend von Bundeskanzler Olaf Scholz und den anderen
EU-Staats- und Regierungschefs verabschiedeten Erklärung.

Es ist die erste gemeinsame Positionierung der 27 EU-Mitgliedstaaten
zum Gaza-Krieg seit fünf Monaten. Vorausgegangen waren wochenlange
Diskussionen. Vor allem Länder wie Österreich, Tschechien und Ungarn
halten es eigentlich für unangebracht, Israel nach dem Terrorangriff
der islamistischen Hamas in Israel vom 7. Oktober zu großer
Zurückhaltung aufzufordern. Auf der anderen Seite stehen Länder wie
Spanien, die das Vorgehen Israels im Gazastreifen für
völkerrechtswidrig halten und sich eine stärkere Reaktion der EU
wünschen. Deutschland, das anfangs noch im Lager der größten
Israel-Unterstützer war, ist mittlerweile in Richtung Mitte gerückt. 


Israel wird in der Erklärung aufgefordert, in Rafah im äußersten
Süden des Gazastreifens keine Bodenoffensive zu beginnen, die die
bereits katastrophale humanitäre Lage verschlimmern und die dringend
benötigte Grundversorgung mit humanitärer Hilfe verhindern würde.
 Das Vorhaben ist international umstritten, weil etwa 1,5 Millionen
Palästinenser aufgrund der heftigen Kämpfe im Gazastreifen dort
Zuflucht gesucht haben. Auch die US-Regierung hatte zuvor bereits
davor gewarnt.

Der Weltsicherheitsrat könnte in Kürze über eine Resolution
abstimmen, die eine sofortige und anhaltende Waffenruhe im
Gazastreifen fordert. Diplomaten im wichtigsten UN-Gremium teilten
der Deutschen Presse-Agentur mit, dass bereits ein Votum an diesem
Freitag möglich ist. Die Beschlussvorlage stammt von den USA und
betont die «Notwendigkeit eines sofortigen und dauerhaften
Waffenstillstands, um die Zivilbevölkerung auf allen Seiten zu
schützen und die Bereitstellung wesentlicher humanitärer Hilfe zu
ermöglichen», heißt es in dem vorliegenden Papier.

Zinserträge aus russischem Vermögen für Waffenlieferung in die
Ukraine 

Neben dem Nahost-Konflikt bestimmte der Abwehrkampf der Ukraine gegen
Russland den ersten Gipfeltag in Brüssel: Die EU kündigte an,
milliardenschwere neue Militärhilfen für das Land vorzubereiten. So
soll die Nutzung von Zinserträgen aus dem eingefrorenen russischen
Zentralbank-Vermögen vorangetrieben werden. Allein dieses Jahr
könnten bis zu drei Milliarden Euro zusammenkommen. Scholz sagte, das
Geld solle vor allem zum Kauf von Waffen und Munition verwendet
werden, die die Ukraine für ihren Verteidigungskampf brauche. 

Nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
könnte bei einer abschließenden Einigung die erste Milliarde bereits
am 1. Juli ausgezahlt werden. «Es hängt also von uns ab. Es liegt in
unseren Händen. Wenn wir schnell sind, gibt es im Sommer einen
konkreten Schritt», sagte von der Leyen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mahnte in einer per
Videokonferenz übertragenen Ansprache schnelle Entscheidungen an.
Dass Europa bei der Lieferung von Artilleriemunition hinter seinen
Möglichkeiten bleibe, sei beschämend, kritisierte er. Zudem bat er
unter anderem um mehr Luftverteidigungssysteme. Es gehe nicht um
Hunderte, sondern um eine erreichbare Zahl.

Weltgrößte Förderbank soll in reine Rüstungsprojekte investieren

Um die Verteidigungsbereitschaft der Staatengemeinschaft angesichts
der geopolitischen Spannungen zu erhöhen, soll die Europäische
Investitionsbank (EIB) nach Willen der Staats- und Regierungschefs
eine größere Rolle für Rüstungsprojekte spielen. Die EU-Förderban
k
solle dafür etwa ihre Politik für die Kreditvergabe anpassen und auch
die derzeitige Definition sogenannter Dual-Use-Güter anpassen, heißt
es in der Erklärung. Letztere sind Produkte, die zivil und
militärisch verwendet werden können, beispielsweise Helikopter oder
Drohnen.

Bislang ist die EIB im Bereich Verteidigung nur bei diesen Gütern
aktiv - unter anderem bei Finanzierungen für Forschung und
Entwicklung. Wenn die Förderbank auch in reine Rüstungsprojekte
investieren soll, müssten sich die 27 EU-Mitgliedsländer auf eine
Änderung des Mandats einigen.

Beitrittsgespräche mit Bosnien-Herzegowina

Bereits 2003 hatte die EU Bosnien-Herzegowina einen Beitritt in
Aussicht gestellt - nun machten die EU-Staats- und Regierungschefs
beim Gipfel den Weg frei für Beitrittsgespräche. Die erste sogenannte
Beitrittskonferenz soll allerdings erst organisiert werden, wenn
Bosnien-Herzegowina bislang nicht erfüllte Reformauflagen umgesetzt
hat. Dabei geht es unter anderem um die Rechtsstaatlichkeit in dem
Land und den Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen. 

Bundeskanzler Scholz schrieb auf X (früher Twitter): «Das europäische

Friedensprojekt wächst - ein klares Zeichen für ein starkes Europa.»

Vor allem Staaten wie Österreich hatten zuletzt darauf gedrungen,
Bosnien-Herzegowina Fortschritte im Beitrittsprozess in Aussicht zu
stellen. Grund dafür war auch die Sorge, dass sich das Balkanland mit
etwa 3,2 Millionen Einwohnern ansonsten Richtung Russland oder China
orientieren könnte. 

Getreide-Exporte sollen für Russland teurer werden

Zum Abschluss des ersten Gipfeltages gab Kommissionspräsidentin von
der Leyen bekannt, dass ihre Behörde einen Vorschlag vorbereitet
habe, wonach russisches Getreide mit höheren Zöllen belegt werden
soll. Neben Getreide sollen auch weitere Agrarprodukte aus Russland
und Belarus mit der Maßnahme getroffen werden. Laut von der Leyen
soll auch verhindert werden, dass aus der Ukraine gestohlenes
Getreide in die EU verkauft wird. Russisches Getreide werde so auch
nicht den EU-Markt destabilisieren und Russland werde keinen Nutzen
aus dem Export dieser Waren ziehen, so von der Leyen.

Wie aus Zahlen des Statistikamts Eurostat hervorgeht, haben die
EU-Staaten in den vergangenen Jahren ihre Getreideimporte aus
Russland deutlich hochgefahren. Während in den Vorkriegsjahren 2020
und 2021 Getreide für knapp 120 Millionen Euro (2020) und gut 290
Millionen Euro (2021) aus Russland in die EU importiert wurde, waren
es 2022 rund 325 Millionen Euro und ein Jahr später fast 440
Millionen Euro. Mehrere EU-Staaten hatten vor dem Gipfel in einem
Brief darauf gedrungen, dass die Kommission Maßnahmen vorschlagen
solle, um die Getreide-Exporte aus Russland in die EU zu
beschränken.