EU-Zölle auf russisches Getreide könnten steigen - Nacht im Überblick

22.03.2024 05:00

Die EU-Kommission will höhere Zölle für russisches Getreide und
andere Agrarprodukte durchsetzen. Der Beschluss ist brisant. Ein
Überblick über Geschehnisse in der Nacht und ein Ausblick auf den
Tag.

Brüssel/Kiew/Moskau (dpa) - Die EU-Kommission will Einfuhren von
russischem Getreide mit höheren Zöllen belegen. Die Behörde habe
einen entsprechenden Vorschlag vorbereitet, sagte
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am späten Donnerstagabend
nach Gesprächen der EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfel
in Brüssel. Er würde neben Getreide auch weitere Agrarprodukte aus
Russland und Belarus treffen.

Zudem soll laut von der Leyen verhindert werden, dass aus der Ukraine
gestohlenes Getreide in die EU verkauft wird. Russisches Getreide
dürfe nicht den EU-Markt destabilisieren und Russland dürfe keinen
Nutzen aus dem Export dieser Waren ziehen.

Mehrere östliche EU-Staaten hatten vor dem Gipfel in einem Brief an
die EU-Kommission gefordert, dass die Kommission Importbeschränkungen
für russisches Getreide vorbereitet. Russland finanziere mit Gewinnen
aus den Getreideexporten in die EU auch den laufenden Krieg gegen die
Ukraine, heißt es in dem Schreiben, das von den Agrarministern aus
Tschechien, Estland, Lettland, Litauen und Polen unterschrieben
wurde.

Brisant ist der Vorschlag, weil die EU die Ein- und Ausfuhr von
Agrarprodukten eigentlich nicht beschränken wollte. In der Kommission
wird nun argumentiert, dass es sich bei Zöllen nicht um Sanktionen
handele. Zudem soll garantiert werden, dass die Abgaben nur für
Importe gelten, die in der EU verbleiben. Russische Exporte in andere
Weltregionen sollen durch sie nicht teurer werden.

Selenskyj fordert mehr EU-Militärhilfe

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war zu dem EU-Gipfel am
Donnerstag per Video zugeschaltet und warb eindringlich um mehr
militärische Unterstützung für sein Land. «Leider ist der Einsatz v
on
Artillerie an der Front durch unsere Soldaten beschämend für Europa
in dem Sinne, dass Europa mehr leisten kann», sagte er nach dem von
einer EU-Sprecherin veröffentlichten Redetext. «Es ist wichtig, dies
jetzt zu beweisen.»

Die Ukraine bittet die EU seit Langem um Waffen mit großer
Reichweite, um Versorgungslinien der russischen Angreifer weit hinter
der Front zerstören zu können. Großbritannien und Frankreich haben
bereits ihre Marschflugkörper der Typen Storm Shadow und Scalp
geschickt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will die
Taurus-Marschflugkörper der Bundeswehr mit einer Reichweite von 500
Kilometern aber nicht zur Verfügung stellen, weil er befürchtet, dass
Deutschland in den Krieg hineingezogen werden könnte.

In seiner abendlichen Videoansprache appellierte Selenskyj zudem an
die internationale Gemeinschaft, die Sanktionen gegen Russland weiter
zu verschärfen. Russische Raketen etwa enthielten noch immer oft
westliche Bauteile, die über Schlupflöcher nach Russland gelangten,
kritisierte er. «Jeder russische Terroranschlag deutet darauf hin,
dass die weltweiten Sanktionen gegen Putins System bisher nicht
ausreichen.»

Ukraine meldet drei Tote in Gebieten Cherson und Donezk

Infolge russischer Angriffe sind in den ukrainischen Gebieten Cherson
und Donezk offiziellen Angaben zufolge mindestens drei Menschen
getötet worden. In Cherson im Süden des Landes sei in einem Dorf eine
70-jährige Frau durch Beschuss schwer verletzt worden und wenig
später auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben, teilte die regionale
Militärverwaltung mit. In Donezk im Osten wurden laut
Staatsanwaltschaft in der Kleinstadt Nowohrodiwka ein 60-jähriger
Mann und eine 66 Jahre alte Frau getötet. Zwei weitere Menschen seien
verletzt worden, hieß es. 

Häftlinge im Krieg: Zwei Straflager in Sibirien schließen

Aufgrund der vielen in der Ukraine kämpfenden russischen Häftlinge
werden in der sibirischen Großregion Krasnojarsk Medienberichten
zufolge mindestens zwei Straflager geschlossen. Die Haftanstalten
sollten aus Gründen der «Optimierung» zugemacht werden, nachdem viele

Straftäter angesichts ihres Einsatzes im Kriegsgebiet begnadigt
wurden, sagte der Menschenrechtsbeauftragte der Region, Mark Denisow,
laut Tageszeitung «Kommersant». Seinen Angaben zufolge sind die
Straflager in den Ortschaften Gromadsk und Arejskoje betroffen. In
Gromadsk sitzen vor allem Wiederholungstäter. Arejskoje ist ein Lager
für Schwerverbrecher.

SPD-Chef: Es muss möglich sein, über die Frage von Frieden zu reden

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sieht derzeit keine Basis für
Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über ein
Ende des Ukraine-Krieges. «Ich selbst glaube gerade nicht, dass man
sich mit Wladimir Putin an einen Tisch setzen kann», sagte Klingbeil
am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung «Maybrit Illner». Jene, die
darüber entschieden, seien die Ukrainerinnen und Ukrainer, fügte der
SPD-Chef hinzu. 

In der Sendung ging es unter anderem um umstrittene Einlassungen von
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenichs zu einem Einfrieren des
Ukraine-Kriegs. Klingbeil nahm Mützenich gegen harte Kritik auch der
Koalitionspartner Grüne und FDP in Schutz. Mützenich sorge dafür,
dass die SPD-Fraktion geschlossen hinter der Ukraine-Politik von
Kanzler Scholz stehe, sagte der Parteichef. Der Fraktionsvorsitzende
habe in seiner Rede im Bundestag klar gesagt, dass die Ukraine in
ihrem Abwehrkampf gegen Russland weiter militärisch unterstützt
werden, es aber auch möglich sein müsse, über die Frage von Frieden
zu reden. «Und ich sage Ihnen, diesen Wunsch und diesen Bedarf gibt
es. Und ich finde, man kann diese Debatten aushalten und man kann sie
auch führen», betonte Klingbeil.   

Das wird am Freitag wichtig

Am zweiten und letzten Tag des Brüsseler Gipfels geht es beim Treffen
der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten am Freitag erneut
unter anderem um Russlands Angriffskrieg und eine Stärkung der
europäischen Verteidigungsindustrie.