Kommunal- und Europawahl in Sachsen - Zuversicht parteiübergreifend Von Jörg Schurig, dpa

23.03.2024 06:00

Vor allem die Europawahl gilt als Stimmungstest für die Landtagswahl
in Sachsen am 1. September. Noch sind alle Parteien zuversichtlich,
dass sie ihre Position ausbauen oder zumindest halten können.

Kamenz/Dresden (dpa/sn) - Die Zeiten ändern sich, doch die Zuversicht
aller Parteien vor einer Wahl bleibt: Auch bei den sächsischen
Kommunalwahlen und Europawahlen am 9. Juni ist das nicht anders.
Stellung ausbauen oder zumindest halten, lautet die Devise bei allen
größeren Parteien. Tatsächlich dürfte sich das Machtgefüge im
Freistaat aber verändern. Denn vom aktuellen Umfragehoch der AfD mit
Blick auf die Landtagswahl am 1. September dürften auch deren
Kandidaten für kommunale Ämter und für das Europaparlament
profitieren. Das Ergebnis der Europawahl gilt wiederum als Fingerzeig
für die Landtagswahl.

Bei den Kommunalwahlen werden die Mitglieder von zehn Kreistagen, 418
Stadt- und Gemeinderäten und vielerorts auch Ortschaftsräte gewählt.

In der Landeshauptstadt Dresden steht zudem die Wahl von zehn
Stadtbezirksbeiräten an. Die Amtsperiode dauert fünf Jahre. Zur
Europawahl sind in Sachsen etwa 3,3 Millionen Menschen
wahlberechtigt. Zu Kommunalwahlen sind es etwa 70 000 Menschen
weniger, weil man hier erst ab 18. Lebensjahr wählen kann. Viele
halten das für paradox: 16- und 17-Jährige dürfen zwar das
Europaparlament mitwählen, nicht aber ihren Gemeinde- oder Stadtrat.

«Kommunalwahlen laufen unter eigenen Gesetzen. Da spielen Parteien
nur am Rande eine Rolle. Vielmehr stehen Personen im Vordergrund»,
sagt der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer. Auf lokaler
Ebene seien vor allem Freie Wählervereinigungen stark. Hier gehe es
also überwiegend um lokale Gesichtspunkte. Bei der Europawahl werde
die Neigung zur Zustimmung oder Abstrafung einer Partei eher
deutlich. «Das Misstrauen, das den Parteien im demokratischen
Spektrum in den letzten Wochen und Monaten entgegenschlug, wird sich
da bemerkbar machen». 

Vor fünf Jahren war die AfD bei der Europawahl mit 25,3 Prozent der
Stimmen vor der CDU (23,0) gelandet. Bei der Landtagswahl ein paar
Monate später konnte die CDU den Spieß wieder herumdrehen. Auch bei
der Kommunalwahl schnitten die Christdemokraten damals besser ab als
die AfD. Bei den Kreistagen hatten sie in acht von zehn Landkreisen
die Nase vorn. Auch bei den Gemeinderatswahlen konnte die Union (23,8
Prozent) die AfD (15,3 Prozent) abhängen. Sieger waren hier
allerdings die Freien Wählervereinigungen, die gut ein Viertel aller
Stimmen - 25,8 Prozent - einheimsten.  

Aus den Parteien sind wenige Wochen vor dem Urnengang vor allem
optimistische Töne zu hören. «Ziel ist, dass die SPD mehr Abgeordnete

im Europaparlament stellt als bisher. 2019 hatten wir 8,6 Prozent.
Das wollen wir verbessern», heiß es aus der SPD-Zentrale. Für die
kommunalen Parlamente könne man etwa zehn Prozent mehr Kandidaten
aufstellen als bei der vergangenen Wahl. «Dabei spielt sicherlich
auch die jüngste Welle der Demokratiebewegung eine Rolle», sagt
Parteisprecher Tilman Günther. Man versuche, möglichst überall
präsent zu sein. «Das gelingt leider nicht an jedem Ort in Sachsen.»


Die Grünen wollen vor allem im ländlichen Raum weiße Flecken tilgen.

Kein kommunaler Mandatsträger soll mehr allein für grüne Politik
streiten müssen, meint Parteichefin Christin Furtenbacher. In
einzelnen Kreisverbänden sei die Nominierung von Kandidatinnen und
Kandidaten herausfordernd. «Das liegt zum einen an geringeren
Mitgliederzahlen in ländlichen Kreisverbänden. Zum anderen erschwert
die Zunahme von Hetze und Anfeindungen gegen unsere Mitglieder die
Kandidatenfindung.» 2019 hatten die Grünen bei den Gemeinderatswahlen
8,4 Prozent erreicht, bei den Europawahlen waren es 10,3 Prozent.

Auch Furtenbacher beschreibt eine «Jetzt-erst-recht-Stimmung». Einige
Kreisverbände hätten für die Kommunalwahl so viele Leute wie noch nie

aufstellen können. Es gebe das Gefühl, dass gerade jetzt viele Grüne

in Kommunen gebraucht würden. «Wir lassen uns nicht einschüchtern und

werden auch in Zeiten eines heftigen Gegenwindes von Rechten da sein
und unsere Ziele für eine lebenswerte Zukunft in unserem Bundesland
vertreten.» Kernthemen seien der Erhalt der natürlichen
Lebensgrundlagen, der Schutz der Demokratie und eine zukunftsfeste
Wirtschaft sowie eine solide Daseinsfürsorge in den Kommunen.

«Wir sind stolz, dass wir als Linke wieder in ganz Sachsen mit
starken Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl stehen. In den letzten
Jahren konnten wir vor Ort viel für die Menschen erreichen», sagt
Linke-Chefin Susanne Schaper. Als Beleg nennt sie unter anderem das
29-Euro-Sozialticket in Leipzig, den kostenlosen Museumsfreitag in
Chemnitz, stabile Kita-Elternbeiträge in vielen Kommunen und den
Erhalt der Kinderstation am Krankenhaus Wurzen. Man wolle weiter
echte Verbesserungen sorgen, in allen Kreistagen die soziale Stimme
bleiben und in Leipzig die Position als stärkste Kraft verteidigen.

Die AfD erwartet bei von den Juni-Wahlen einen deutlichen Aufschwung.
Als sie im vergangenen Dezember erstmals ein Rathaus in Sachsen
eroberte - in Pirna trat der parteilose Kandidat Tim Lochner für die
AfD an - sprach Parteichef Jörg Urban von einer Steilvorlage für das
Wahljahr 2024. «Wir werden sicherlich in der Kommunalwahl nächstes
Jahr viele ähnliche Konstellationen haben - dass Menschen auf unseren
Listen gehen, die nicht unbedingt AfD-Mitglied sind und die gute
Ergebnisse bringen werden.» Die vom Verfassungsschutz vorgenommene
Einstufung des AfD-Landesverbandes als rechtsextremistische
Bestrebung sieht er dabei nicht als Hindernis. Die Leute würden so
etwas durchschauen, glaubt Urban.