Abstimmung im Europaparlament: Was das EU-Lieferkettengesetz bedeutet

24.04.2024 06:13

Das geplante EU-Lieferkettengesetz ist auf gutem Weg, geltendes Recht
zu werden, trotz Widerstands in der deutschen Bundesregierung. Der
Ball liegt nun bei den Abgeordneten des EU-Parlaments.

Brüssel (dpa) - Nach langem Ringen gibt es einen offensichtlich
mehrheitsfähigen Kompromiss für ein abgeschwächtes europäisches
Lieferkettengesetz. An diesem Mittwoch (ab 12.00 Uhr) stimmt das
EU-Parlament in Straßburg darüber ab. Deutschland unterstützt das
Vorhaben zwar nicht, müsste es aber trotzdem umsetzen.  

Was ist das Ziel des EU-Lieferkettengesetzes?

Das EU-Lieferkettengesetz zielt darauf ab, Menschenrechte weltweit zu
stärken. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden
können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder
Zwangsarbeit profitieren. Sie sollen zudem Berichte erstellen,
inwiefern ihr Geschäftsmodell mit dem Ziel vereinbar ist, die
Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu
begrenzen. 

Wie wurde das Gesetz im Verhandlungsprozess abgeschwächt? 

Ursprünglich sah ein Kompromiss von Unterhändlern der EU-Staaten und
des Europaparlaments vor, dass Unternehmen mit mehr als 500
Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz von den
Vorgaben betroffen sind. Diese Grenze wurde jedoch auf 1000
Beschäftigte und 450 Millionen Euro angehoben, nach einer
Übergangsfrist von fünf Jahren. Nach drei Jahren sollen die Vorgaben
zunächst für Firmen mit mehr als 5000 Beschäftigten und mehr als 1,5

Milliarden Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinken diese
Grenzen dann auf 4000 Mitarbeitende und 900 Millionen Umsatz.

Inwiefern unterscheiden sich das europäische und das deutsche
Lieferkettengesetz?

Einer der größten Unterschiede ist die Haftbarkeit. So ist im
deutschen Gesetz ausgeschlossen, dass Unternehmen für
Sorgfaltspflichtverletzungen haftbar sind. Die EU-Variante lässt dies
zu. Darüber hinaus gilt das deutsche Lieferkettengesetz für
Unternehmen mit 1000 oder mehr Mitarbeitenden. In den kommenden
Jahren sind von der deutschen Version also mehr Unternehmen betroffen
als von der EU-Variante. 

Was passiert bei Verstößen gegen das Gesetz? 

Die EU-Staaten sollen eine Aufsichtsbehörde benennen, die den
Unternehmen auf die Finger guckt. Diese soll auch Strafen gegen
Unternehmen verhängen können, wenn diese sich nicht an die
Vorschriften halten. Es können Geldstrafen von bis zu 5 Prozent des
weltweiten Nettoumsatzes eines Unternehmens fällig werden. 

Wie sehen Wirtschaftsexperten das Vorhaben? 

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sieht das Vorhaben
trotz der Änderungen kritisch. Diese seien aus Sicht der Wirtschaft
zwar positiv zu bewerten aber «auch leicht abgespeckt bleibt die
EU-Lieferkettenrichtlinie wenig praxistauglich und wird viel
Bürokratie mit sich bringen», sagte DIHK-Präsident Peter Adrian.
Rechtsunsicherheit bestehe weiter. 

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW),
Marcel Fratzscher, hatte hingegen eindringlich für das Vorhaben
ausgesprochen. Deutschland würde ohne eine EU-Version des Gesetzes
einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden erleiden, sagte er.

Welche Rolle spielt Deutschland bei der Verhandlung des Gesetzes?

Deutschland hat sich bei der Abstimmung im Ausschuss der ständigen
Vertreter der EU-Mitgliedstaaten enthalten. Dies lag - wie des
Öfteren - an Uneinigkeit innerhalb der Bundesregierung. Wichtige
EU-Gesetze werden in Brüssel immer wieder ohne deutsche Zustimmung
verabschiedet. Wenn sich die Bundesregierung auf keine einheitliche
Position einigen kann, schwächt das die Verhandlungsposition
Deutschlands in Brüssel.

In diesem Fall hatte die FDP darauf gedrängt, dass Deutschland dem
Gesetz nicht zustimmt, aus Sorge vor Bürokratie und rechtlichen
Risiken für Unternehmen. Politiker von SPD und Grünen hingegen
befürworten das Vorhaben.