Joschka Fischer: EU ohne Polen nicht mehr vorstellbar

30.04.2024 10:29

Vor 20 Jahren trat Polen der EU bei, obwohl in Polen und auch
Deutschland viele Menschen skeptisch waren. Der damalige deutsche
Außenminister Fischer ist heute voll des Lobes.

Berlin/Potsdam (dpa) - Der frühere Außenminister Joschka Fischer
(Grüne) erinnert sich noch gut an seine Freude über den Beitritt
Polens zur Europäischen Union vor 20 Jahren, am 1. Mai 2004. «Ich war
am 1. Mai heilfroh, dass Polen beigetreten ist, es Wirklichkeit
wurde», sagte Fischer der «Märkischen Oderzeitung» (MOZ). «Die EU
war
nicht mehr nur ein westeuropäisches Projekt, sondern ein
gesamteuropäisches Projekt.» Die deutsch-polnische Geschichte sei
«sehr tragisch», vor allem die Zeit der Besatzung durch die Nazis,
sagte Fischer. Sein Eindruck sei aber inzwischen, dass das Verhältnis
an der Grenze sehr gut sei. «Man hört nur Positives. (...) Ich kann
mir eine EU ohne Polen nicht mehr vorstellen.» 

Auch das wirtschaftliche Verhältnis habe sich im Gegensatz zu vielen
Befürchtungen sehr positiv entwickelt, betonte Fischer. «Polnische
Familien kaufen Grundstücke in der Uckermark, beleben verlassene
Dörfer (...). Bürgermeister sind heilfroh, dass sie Kindergärten und

Schulen erhalten konnten, weil die Zahl der Kinder gestiegen ist.»
Die Berliner freuten sich über qualifizierte polnische Arbeiter und
Handwerker. Heute gebe es auf beiden Seiten der Grenze einen
gemeinsamen Wirtschaftsraum. «Ich wünsche mir, dass Polen in
absehbarer Zeit den Euro einführt.»

Dass Polen jahrelang von der rechts-konservativen und
nationalistischen Partei PiS regiert wurde, war laut Fischer «sehr
hart». «Aber die deutsche Reaktion war sehr klug. Nämlich nicht zu
reagieren, wissend um das, was wir als deutsche Nation angetan haben,
sondern darauf zu warten, dass sich die Dinge ändern.» Die letzten
Wahlen mit der Niederlage der Partei 2023 seien dann «eine
unglaubliche Zäsur für ganz Europa» gewesen, sagte Fischer weiter.
Auch durch den russischen Überfall auf die Ukraine habe Westeuropa
erkannt, wie wichtig die EU-Osterweiterung in vieler Hinsicht war.
Polen habe schmerzhafte Erfahrungen mit Russland gemacht, auch darauf
solle Westeuropa künftig mehr hören.