Mehr als 60 Festnahmen bei Protesten in Georgien

01.05.2024 17:54

Die georgische Hauptstadt Tiflis hat eine Nacht voller Polizeigewalt
hinter sich. Bei den Massenprotesten geht es um ein umstrittenes
Gesetz und um die Frage: Geht Georgien nach Europa oder nicht?

Tiflis (dpa) - Die Polizei im EU-Beitrittskandidat Georgien hat nach
eigenen Angaben 63 Teilnehmer an regierungskritischen Massenprotesten
festgenommen. Das sagte der Vizeinnenminister der Republik im
Südkaukasus, Alexander Darachwelidse, am Mittwoch in der Hauptstadt
Tiflis. In der Nacht waren die Sicherheitskräfte mit Tränengas,
Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen die Zehntausende Menschen
zählende Menge vorgegangen. Deren Protest richtet sich seit Wochen
gegen Pläne der Regierung, den angeblichen ausländischen Einfluss auf
die georgische Zivilgesellschaft zu unterbinden. Die Abgeordneten im
Parlament der Ex-Sowjetrepublik setzten am Mittwoch die zweite Lesung
des umstrittenen Gesetzes fort. 

Zu den Festgenommenen zählte auch Lewan Chabeischwili, der
Vorsitzende der größten Oppositionspartei Vereinte Nationalbewegung
UNM. Chabeischwili veröffentlichte ein Foto, das ihn mit blutig
geschwollenem Gesicht zeigt. Er erklärte, von der Polizei misshandelt
worden zu sein. Die Sicherheitskräfte waren am Dienstagabend mit
Gewalt gegen die Demonstranten vorgegangen und hatten sie vom
Parlamentsgebäude weggedrängt. Erst in der Nacht beruhigte sich die
Lage. Für Mittwoch waren neue Proteste angekündigt.

Stein des Anstoßes ist ein Gesetz, dass
Nichtregierungsorganisationen, die mehr als 20 Prozent Geld aus dem
Ausland erhalten, über die Herkunft Rechenschaft ablegen müssen.
Viele Projekte zur Demokratieförderung in der Ex-Sowjetrepublik
arbeiten mit Geld aus EU-Staaten oder den USA. Die Regierungspartei
Georgischer Traum spricht von größerer Transparenz. Kritiker
erwarten, das Gesetz werde wie in Russland missbraucht werden, um
Geldflüsse zu stoppen und prowestliche Kräfte zu verfolgen. Die seit
2012 regierende Partei Georgischer Traum tritt vor der Parlamentswahl
im Herbst zunehmend autoritär auf. Die proeuropäischen Demonstranten
befürchten, dass dieser Kurs den erhofften Beitritt zur EU gefährdet.

Regierungschef Irakli Kobachidse rechtfertigte das harte Vorgehen der
Polizei. Die Ordnungskräfte hätten allein im Rahmen des Gesetzes
gehandelt, betonte er bei einer Pressekonferenz am Mittwoch. Die
anhaltenden Proteste seien zwar unkomfortabel, aber eben die
Verabschiedung des Gesetzes zur Kontrolle der
Nichtregierungsorganisationen schütze das Land auf lange Sicht vor
einer Polarisierung und Radikalisierung, sagte er. 

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kritisierte den Polizeieinsatz
gegen friedliche Demonstranten. «Georgien ist EU-Beitrittskandidat.
Ich rufe die Behörden auf, das Recht auf friedliche Versammlungen zu
gewährleisten», schrieb er im sozialen Netzwerk X (früher Twitter).
«Der Einsatz von Gewalt, um dieses zu unterdrücken, ist
inakzeptabel.»