«Großes Glück»: Deutschland und Polen feiern 20 Jahre EU-Beitritt Von Oliver von Riegen und Ulrich Steinkohl, dpa

01.05.2024 18:17

Annalena Baerbock war vor 20 Jahren dabei, als der EU-Beitritt Polens
gefeiert wurde. Das wird gefeiert. Bei einem Treffen mit Polens
Außenminister Sikorski hat sie nun einen Wunsch.

Slubice/Frankfurt (Oder) (dpa) - Deutschland und Polen haben sich 20
Jahre nach dem polnischen EU-Beitritt ihre enge Partnerschaft
hervorgehoben. Außenministerin Annalena Baerbock warb bei einem
Treffen mit ihrem polnischen Amtskollegen Radoslaw Sikorski für die
Weiterentwicklung der Europäischen Union zu einer Sicherheitsunion.
Die EU-Länder seien zu einer Friedens- und Freiheitsgemeinschaft
geworden, die «uns alle stärker und - wir erleben das in diesen Tagen
- vor allen Dingen sicherer gemacht hat», sagte Baerbock am Mittwoch
im polnischen Slubice anlässlich einer Feier. Es sei «das große
Glück, im Herzen Europas wiedervereint zu sein». Die EU müsse aber
reformiert werden und mehr mit einer Stimme sprechen, um
sicherheitspolitisch stärker zu werden.

Der polnische Außenminister sprach von einem großartigen Erfolg vor
20 Jahren. Es gebe mehr Sicherheit, sagte Sikorski. Polen habe am 1.
Mai 2004 seinen Platz gefunden. «Unter Freunden, unter Verbündeten,
in Europa, zuhause. Dafür haben Generationen von Polen gekämpft.» Er

zeigte sich zuversichtlich, dass die aktuellen Grenzkontrollen auch
wieder abgebaut würden. Es gebe zwar noch Kontrollen, sagte Sikorski.
Aber: «Das wird vorbeigehen.» Es gehe darum zu kämpfen, dass es keine

Grenzen mehr gebe. Der Außenminister betonte die Vorzüge eines freien
Europas.

Historischer Spaziergang wird wiederholt 

Die beiden Außenminister besuchten ein Europafest in Slubice und
gingen anschließend in Begleitung von Brandenburgs Ministerpräsident
Dietmar Woidke (SPD) gemeinsam über die Oderbrücke, um an die
Osterweiterung vor 20 Jahren zu erinnern. Auf dieser Brücke hatten
der frühere Bundesaußenminister Joschka Fischer  (Grüne) und sein
damaliger Amtskollege Wlodzimierz Cimoszewicz 2004 mit einem
Händedruck um Mitternacht die neue Ära der Partnerschaft eingeleitet.
Tausende Menschen jubelten ihnen damals zu. Diesmal waren es weniger
Leute, die Menschentraube auf der Brücke sorgte aber für viel
Neugier. Baerbock war vor 20 Jahren in Frankfurt (Oder) selbst dabei,
als der Beitritt gefeiert wurde. «Meine Generation verdankt ihm so
viel», schrieb sie ins Gästebuch anlässlich des Besuches.

Beide Außenminister diskutierten in der Europa-Universität Viadrina
mit rund 30 Studentinnen und Studenten. Dabei war der Ukraine-Krieg
ein bestimmendes Thema. «Wir werden alles tun, um (Russlands
Präsidenten) Putin zu stoppen», sagte Sikorski.

Der frühere Außenminister Fischer zeigte sich erfreut über das
Jubiläum. «Politik kann eben ? wenn sie gut ist ? positive Wirkungen
haben», sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Der
Beitritt sei nicht einfach gewesen, es habe viel Skepsis in Polen
gegeben. «Das Referendum war knapp», sagte er. «Ich bin sehr froh,
dass es dann geklappt hat.»

Das «Wunder der Normalität»

Brandenburgs Ministerpräsident Woidke sprach mit Blick auf die
Ost-Erweiterung von einem «riesengroßen Schritt». «Was mich wirklic
h
freut ist, dass in den letzten 20 Jahren die Regionen
zusammengewachsen sind, dass die Zusammenarbeit heute nichts
Besonderes mehr ist, sondern dass wir hier das Wunder der Normalität
erleben», sagte er. Der Polen-Beauftragte der Bundesregierung,
Dietmar Nietan, nannte den Beitritt Polens eine «Sternstunde für
Europa».

Die Europäische Union wurde vor 20 Jahren nach Osten erweitert:
Polen, Estland, Lettland, Litauen, die Slowakei, Slowenien,
Tschechien, Ungarn, Malta und Zypern traten bei. Deutschland und
Polen sind politisch und wirtschaftlich eng verbunden, auch wenn es
in manchen Fragen unterschiedliche Ansichten gibt - trotz
Regierungswechsels in Warschau.

In der Doppelstadt Frankfurt (Oder) und Slubice kann man die
Partnerschaft im Alltag erleben: Es gebe fast 4000 polnische
Mitbürgerinnen und Mitbürger in Frankfurt (Oder), zehn
deutsch-polnische Kitas in der Doppelstadt, gemeinsame
Kulturveranstaltungen, ein Fernwärmenetz und gemeinsamen Nahverkehr,
sagte Oberbürgermeister Réne Wilke (Linke). 

Dass die Partnerschaft beider Länder gelingt, zeigt auch ein kleiner
statistischer Vergleich, den der polnische Außenminister bei dem
Treffen vortrug: «Die deutsch-polnischen Ehen halten länger als die
polnisch-polnischen und die deutsch-deutschen.»