Neuer Milliarden-Deal der EU soll Ankunft von Flüchtlingen verhindern Von Ansgar Haase, Amira Rajab und Takis Tsafos, dpa

02.05.2024 08:11

Die EU sieht sich mit einem neuen Flüchtlingsproblem konfrontiert.
Zur Lösung soll an diesem Donnerstag ein Milliarden-Deal mit dem
Libanon angekündigt werden. Es gibt aber auch Warnungen.

Brüssel/Beirut (dpa) - Die EU will nach Recherchen der Deutschen
Presse-Agentur mit Finanzhilfen im Umfang von rund einer Milliarde
Euro den Zustrom von bislang im Libanon lebenden Flüchtlingen aus
Syrien stoppen. Mit dem EU-Geld soll nach Angaben von EU-Beamten das
Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen im Libanon gestärkt werden.
Zudem sind Mittel für die Sicherheitsbehörden und die Streitkräfte
des Landes sowie für den Kampf gegen Schleuserbanden und für
Wirtschafts- und Finanzreformen vorgesehen. Die legale Migration wird
den Plänen zufolge erleichtert werden.

Das Unterstützungspaket soll nach Angaben der Beamten an diesem
Donnerstag bei einer Libanon-Reise von Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen und Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis angekündigt
werden. Vor allem die zyprische Regierung hatte die wachsende Zahl
syrischer Flüchtlinge aus dem Libanon zuletzt als nicht mehr tragbar
kritisiert und ein Handeln der EU gefordert. 

Zahl der Ankünfte stieg zuletzt drastisch

Angaben von Staatschef Christodoulidis zufolge kamen in den
vergangenen Monaten fast täglich Syrer aus dem etwa 160 Kilometer
entfernten Libanon mit Booten in der EU-Inselrepublik im östlichen
Mittelmeer an. Seit Jahresbeginn wurden bereits rund 4000 Migranten
gezählt - im ersten Quartal des Vorjahres waren es lediglich 78.

In absoluten Zahlen sind das deutlich weniger als beispielsweise in
Italien, Spanien und Griechenland, wo Bootsflüchtlinge aus Ländern
wie Tunesien, Libyen, Ägypten, Marokko oder der Türkei ankommen.
Gemessen an seiner Einwohnerzahl gibt aber nirgendwo in der EU so
viele Asylanträge wie auf Zypern. Auf der Insel sind die
Flüchtlingslager überfüllt. «Wir sind nicht in der Lage, noch mehr

syrische Flüchtlinge aufzunehmen», sagte Christodoulidis vor wenigen
Wochen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

EU-Kommissionschefin von der Leyen hat deswegen Hilfe zugesagt. «Es
sind wir, die Europäer, die entscheiden, wer nach Europa kommt und
unter welchen Umständen. Und nicht das organisierte Verbrechen der
Schmuggler und Menschenhändler», erklärte sie am vergangenen Sonntag

in einer Rede und verwies auf die bereits existierenden Abkommen mit
Ländern wie Tunesien und Ägypten. Auch diese Staaten sollen im
Gegenzug für Finanzhilfen in Milliardenhöhe unerwünschte Migration in

die EU stoppen.

Der für den Libanon vorgesehene Betrag ist für den Zeitraum bis Ende
2027 vorgesehen. Ein erster hoher dreistelliger Millionenbetrag
könnte bereits im Sommer fließen. 

Antisyrische Stimmung im Libanon

Ob das EU-Geld ausreicht, um die Lage im Libanon zu entspannen, ist
allerdings fraglich. Das Land steckt derzeit in der schwersten
Wirtschafts- und Finanzkrise seiner Geschichte und zählt mit mehr als
1,5 Millionen syrischen Flüchtlingen gleichzeitig zu denjenigen
Staaten, die pro Kopf weltweit die meisten Flüchtlinge aufgenommen
haben. Das hat dazu geführt, dass mittlerweile eine antisyrische
Stimmung herrscht und viele Flüchtlinge sich aus Angst vor
Übergriffen nicht mehr auf die Straße trauen.

«Ich habe Angst, mein Haus zu verlassen. Wenn ich morgens aus dem
Haus gehe, gehe ich in Angst. Ich habe immer die Befürchtung, dass
meiner Familie während meiner Abwesenheit etwas zustoßen könnte»,
sagt etwa der Syrer namens Khaled, der seine Heimatstadt Aleppo 2012
wegen des Bürgerkriegs verlassen hat. Die Libanesen behandelten Syrer
wie einen Feind. 

Berichte über willkürliche Festnahmen und Folter

Menschenrechtlern zufolge wenden libanesische Beamte seit Jahren
diskriminierende Praktiken gegen Syrer an, um sie zur Rückkehr nach
Syrien zu zwingen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch
(HRW) berichtete, dass die libanesischen Behörden in den vergangenen
Monaten Syrer, darunter Oppositionsaktivisten und Armeeüberläufer,
willkürlich festgenommen, gefoltert und nach Syrien zurückgeschickt
hätten.

Die libanesischen Regierenden vertreten die Meinung, das
Bürgerkriegsland sei stabil und sicher genug, um eine Rückkehr zu
gewährleisten. Die Vereinten Nationen und andere
Menschenrechtsorganisationen sehen dies allerdings weiter anders. Sie
weisen darauf hin, dass die wirtschaftliche Lage ein Überleben kaum
möglich mache und politische Flüchtlinge um ihr Leben fürchten
müssten. Hinzu kommt: Auch der syrische Machthaber Baschar al-Assad
will die geflohenen Menschen nicht zurück in seinem Land.

Regierung nur eingeschränkt handlungsfähig

Schwierig ist die Lage im Libanon zudem auch politisch. Im
Unterschied zu den autoritär regierten Staaten Tunesien und Ägypten
gibt es in dem Land zurzeit nicht mal ein Staatsoberhaupt. Seit
eineinhalb Jahren scheitert die Wahl eines Präsidenten hier immer
wieder an Machtkämpfen innerhalb der politischen Elite. Aktuell wird
das Land von Ministerpräsident Nadschib Mikati geschäftsführend
geleitet. Die Regierung ist nur eingeschränkt handlungsfähig. 

Auch deswegen will die EU nun auch die Streitkräfte des Landes
stärken. Sie werden als ein stabilisierender Faktor in dem an Syrien
und Israel grenzenden Land gesehen - auch angesichts der Aktivitäten
der vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz. Diese schießt aus dem
Libanon mit Raketen, Artillerie- und Panzerabwehrgranaten auf Israel
- nach eigenen Angaben aus «Solidarität» mit der Hamas im
Gazastreifen. Israel wiederum bekämpft mit Luft- und
Artillerieangriffen die Stellungen der Hisbollah.

Nahost-Experte warnt vor großem Fehler

Angesichts dieser Gemengelage werden die Pläne der EU auch kritisch
gesehen. «Die EU macht im Libanon einen großen Fehler», sagt etwa
Riad Kahwaji, Direktor des Institute for Near East and Gulf Military
Analysis. Das Land habe eine lange Geschichte interner Probleme,
getrieben von konfessionellen Konflikten, die bis heute immer wieder
zu einem Machtvakuum führen. Der Libanon sei in keiner Weise bereit,
ein Aufnahmeland für Flüchtlinge zu sein. Die gleichen Politiker, die
jetzt Gelder von der EU in Empfang nähmen, würden auf Podien dazu
aufrufen, die Syrer aus dem Land zu werfen. «Es ist irre, zu sehen,
dass die Europäer an die Illusion glauben, dass die libanesischen
Behörden in der Lage wären, den Flüchtlingsstrom einzudämmen.»

Aus dem Europaparlament kam am Donnerstag hingegen Unterstützung für
die Pläne der EU-Kommission. «Europäische Hilfe für den Libanon ist

eine gute Zukunftsinvestition», kommentierte der Vorsitzende der
christdemokratischen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU). Europa
brauche eine umfassende Partnerschaft mit den Staaten im
Mittelmeerraum. Nur so werden man die zentralen Herausforderungen wie
etwa Migration bewältigen, aber auch Frieden und Stabilität im Nahen
Osten schaffen können. Von der Leyens Besuch im Libanon sei ein
wichtiges Stabilitätssignal für die Region.