EU-Verpackungsverordnung - Deutsch-dänisches Grenzland ist alarmiert Von Birgitta von Gyldenfeldt und Melissa Erichsen, dpa

04.05.2024 07:00

Die neue EU-Verpackungsverordnung sorgt im deutsch-dänischem
Grenzland für Unruhe - aus einem ganz bestimmten Grund.

Harrislee/Kopenhagen (dpa/lno) - Es ist ein großer Wirtschaftsfaktor
und ein Dilemma, ein deutsch-dänisches Dosendilemma, wenn man so
will. Viele Dänen fahren mit leeren Autos - oft mit Hänger - nach
Harrislee, Flensburg oder Süderlügum, und auf dem Rückweg sind
Kofferraum und Hänger bis obenhin vollgepackt mit Bier- und
Limonadendosen. Andere nutzen beispielsweise die Fähren Rødbyhavn -
Puttgarden oder Gedser - Rostock für einen Tagesausflug samt
Großeinkauf in den dortigen Bordershops. Nach dem Ausfüllen einer
Exportbescheinigung können Skandinavier die Dosen mit nach Hause
nehmen, ohne deutsches oder dänisches Dosenpfand zu bezahlen. Da
Deutschland auf Alkohol auch weniger Steuern als Dänemark erhebt, ist
dies durchaus lukrativ.

Veränderungen stehen an

Doch nun könnten in den Grenzregionen große Veränderungen im Handel
anstehen. Denn die neue europäische Verpackungsordnung, die Ende
April vom EU-Parlament beschlossen wurde, sieht vor, dass ab 2029 in
allen europäischen Ländern eine Pfandpflicht auf
Einweggetränkeverpackungen erhoben werden muss. Auch auf deutsche
Dosen und Flaschen im grenzüberschreitenden Handel müsste dann
deutscher Dosenpfand erhoben werden.

Das Thema Dosenpfand im Grenzhandel beschäftigt die Politik und auch
die Gerichte schon lange. Eine Verabredung zwischen
Schleswig-Holstein, Deutschland und Dänemark aus dem Jahr 2015, die
den pfandfreien Einkauf eigentlich bereits 2018 beenden sollte, ist
nicht umgesetzt worden. Zuletzt hatte der Europäische Gerichtshofs
(EuGH) im September 2023 entschieden, dass Geschäfte an der Grenze zu
Dänemark Getränke weiterhin pfandfrei für den Export nach Dänemark

verkaufen dürfen. Dem Urteil ging ein jahrelanger Weg durch die
Instanzen voraus. 

Grenzhandel wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region 

Auf deutscher Seite der Grenze zeigt man sich nach der Verabschiedung
der neuen Verordnung alarmiert. Denn der grenznahe Einzelhandel ist
als Arbeitgeber für mehr als 3000 Beschäftigte und mit einem
Gesamtumsatz von rund 1,2 Milliarden Euro pro Jahr ein wichtiger
Wirtschaftsfaktor in Schleswig-Holstein, wie der
schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen sagt.
Der Verkauf der Getränke spielt dabei eine zentrale Rolle. Auch in
Mecklenburg-Vorpommern gibt es Bordershops, wenn auch in geringerer
Zahl.

Die Gemeinde Harrislee nahe Flensburg gehört zu den Kommunen mit
florierendem Grenzhandel. Mehrere Unternehmen betreiben hier
insgesamt elf Ladengeschäfte. «Der Grenzhandel ist für die Gemeinde
Harrislee bedeutend», sagt Bürgermeister Martin Ellermann. 30 bis 40
Prozent der Gewerbesteuereinnahmen Harrislees kommen aus diesem
Geschäft. Ellermann befürchtet, dass ein deutscher Dosenpfand auf für

die ausschließlich zum Export bestimmten Gebinde Auswirkungen auf das
Kaufverhalten der dänischen und anderen skandinavischen Kunden haben
könnte. Denn viele von ihnen kaufen beim Gang über die Grenze nicht
nur in den Bordershops ein, sondern steuern oft auch Restaurants,
Autowerkstätten oder Friseure an und stöbern in anderen Läden. 

Dänische Handelskammer Dansk Erhverv begrüßt neue Regel

Die dänische Handelskammer Dansk Erhverv begrüßt indes den
Entschluss. «Die neuen Regeln sind von enormer Bedeutung, und wir
werden darauf drängen, dass sie so schnell wie möglich umgesetzt
werden», sagte der stellvertretende Direktor, Henrik Hyltoft, laut
Mitteilung. Das Jahr 2029 sei jedoch noch weit entfernt, und es sei
sowohl für die Umwelt als auch für faire und gleiche
Wettbewerbsbedingungen wichtig, dass es ein Pfand auf deutsche Dosen
gibt.

Schätzungen zufolge gelangen mehr als 650 Millionen Dosen aus dem
norddeutschen Grenzhandel jährlich nach Dänemark. Nicht alle werden
im Anschluss recycelt oder landen zumindest im Müll. Bis zu neun von
zehn Dosen, die Naturschützer alljährlich in der dänischen Natur
fänden, stammten aus Deutschland, hieß es etwa 2020.

Politiker im Norden fordern Möglichkeit für Pfandrückzahlung auch in

DK

Der SSW-Bundestagsabgeordnete Stefan Seidler betonte, «niemand
sträubt sich gegen ein Dosenpfand per se. Wir möchten
selbstverständlich verhindern, dass leere Getränkedosen in der Natur
landen.» Aber nur wenn die Dosen auf beiden Seiten der Grenze
zurückgegeben werden könnten, bekomme man Benutzerfreundlichkeit, den
Grenzhandel als Wirtschaftszweig und den Naturschutz unter einen Hut.

Enorm wichtig für den Grenzhandel wäre natürlich, dass die Dosen auch

in Dänemark gegen Pfanderstattung zurückgegeben werden können», sag
t
auch Madsen. Ansonsten führe die Verpflichtung zur Einführung eines
Einwegpfands für die Kunden im Grenzhandel faktisch zu einer
Preiserhöhung. Die Landesregierung werde sich dafür einsetzen, dass
insbesondere in Dänemark als wichtigstem Herkunftsland der Kunden im
Grenzhandel Rückgabemöglichkeiten eingerichtet werden, sagt Madsen. 


Die schleswig-holsteinische SPD-Europaabgeordnete, Delara Burkhardt,
geht davon aus, dass der Status quo beibehalten wird, solange eine
Pfandrückerstattung nördlich der Grenze nicht ermöglicht wird. «Den
n
ein Pfand hat den ganz bestimmten Zweck, einen Anreiz für Kundinnen
und Kunden zu setzen, ihr Leergut korrekt zu entsorgen. Wenn
Kundinnen und Kunden ihr Pfand aber nicht wohnortnah zurückbekommen
können, kann das Pfand diesen Zweck nicht erfüllen und die Erhebung
des Pfands wäre nicht gerechtfertigt.»