Schüler werben für EU-Wahl - «Du kannst was bewegen» Von Ira Schaible und Boris Roessler , dpa

08.05.2024 16:09

Die einen sind von der EU begeistert, die anderen interessieren sich
nicht besonders für Politik. Barley und Lucke zu Gast bei
wahlberechtigten Zwölftklässlern.

Oppenheim (dpa/lrs) - Grenzenloses Reisen, Studieren im Ausland und
die Mitgestaltung der Zukunft: Für die Zwölftklässler Ole, Matteo,
Tim Silas, Luis, Catja und Leonite ist schon vor dem Besuch der
Sozialdemokraten Katerina Barley und Karsten Lucke in ihrer Schule
klar, dass sie bei der Europawahl am 9. Juni ihr Kreuz setzen. Nach
dem rund eineinhalbstündigen Gespräch mit der Vizepräsidentin des
Europäischen Parlaments und dem rheinland-pfälzischen
SPD-Spitzenkandidaten sehen sich die Mitglieder der Europa-AG der
Integrierten Gesamtschule An den Rheinauen darin bestätigt, mit ihrer
Stimme «etwas in Europa bewegen zu können, auch gegen den Rechtsruck
und die gefährdete Demokratie».  

«Ich gehe wählen, um meine Zukunft zu verbessern», sagt
Oberstufenschüler Matteo aus dem rheinhessischen Oppenheim. «Man kann
mit seiner Stimme Europa verändern», ergänzt Tim Silas. Und Leonite
will, dass Jugendliche in allen EU-Ländern die gleichen Chancen
haben.  Nicht zufrieden sind sie mit der Medienpräsenz der
EU-Politiker und -Institutionen. Diese müssten den
rechtspopulistischen Parteien und den Falschinformationen in den
Sozialen Medien wie Tiktok mit «gescheiten Videos» mehr
entgegensetzen, meint Ole. 

«Der Einblick hinter die Kulissen» hat Matteo besonders an dem
Gespräch mit Barley und Lucke gefallen. Er hat erfahren, dass die 16
deutschen SPD-Abgeordneten im EU-Parlament sich rege über einen
Messenger-Dienst austauschen, längst nicht in allen Fragen immer
einer Meinung sind, und sich die insgesamt rund 140 Abgeordneten der
sozialdemokratischen Fraktion bei Themen wie Atomkraft oder dem
Gaza-Krieg gar nicht einigen können. 

Die rund 50 Schüler im wahlberechtigten Alter fragen die beiden
EU-Abgeordneten nach Sanktionsmöglichkeiten gegen Staaten, die sich
nicht an die Regeln halten. Sie wollen wissen, warum die
Entscheidungen im EU-Parlament so intransparent sind, es kein
Initiativrecht gibt, und ob nicht mehr Bürgerbegehren sinnvoll sind.
Ein Schüler fragt auch, ob es wichtiger ist, gute Politiker nach
Brüssel zu schicken oder «das Fundament im eigenen Land zu stärken»
.
Die Kommunikation der Abgeordneten untereinander interessiert die
jungen Wahlberechtigten auch. 

In der Praxis verständigten sich sehr viele Parlamentarier auf
Englisch, obwohl eigentlich alle ihre Muttersprache sprechen könnten
und es fantastische Dolmetscher gäbe, sagt Barley, die selbst mehrere
Sprachen beherrscht und eine Lanze für die Lebendigkeit der Debatte
in der Originalsprache bricht.   

«Die Präsenz der Politiker» und die Informationen über das
EU-Parlament, die Kommission und den Rat hätten auch auf die
Mitschüler gewirkt, die sich weniger für Politik interessierten, ist
Ole überzeugt. «Viele haben zur Politik keinen Bezug», aber die
beiden EU-Parlamentarier hätten menschlich gewirkt, auf Augenhöhe mit
den Schülern gesprochen und deren Fragen ernst genommen, sagt Tim
Silas. Viele nähmen die Politik nicht so ernst, glaubten, sie spiele
nur in Berlin oder Brüssel, und wenige schauten abends noch die
Nachrichten, erzählt Leonite über ihre Mitschüler. In der Diskussion

mit Barley und Lucke hätten sie aber gemerkt, dass die EU-Politik
auch sie betreffe. 

Außer der Europawahl gebe es noch mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten in
Europa, hatten Ole und Catja ihre Schüler gleich zu Beginn
informiert. So könnten Petitionen gestartet und - wenn sie von vielen
unterschrieben würden - mit in die Gesetzgebung einfließen, zum
Beispiel zum Klimawandel. EU-Bürger könnten auch bei
gesetzesrelevanten Online-Befragungen mit abstimmen und selbst
europäische Bürgerinitiativen gründen. 

Am Schluss stellt eine Schülerin noch eine persönliche Frage: Sie sei
in Deutschland geboren, habe aber nur die serbische
Staatsbürgerschaft und würde gerne das Europa-Parlament mitwählen. Ob

das möglich sei? Über das Nein tröstet sie sich damit, dass sie
hoffentlich bald die beantragte Doppelstaatsbürgerschaft bekomme.