Europawahl: Rechte im Aufwind Von Sebastian Kunigkeit, dpa

10.06.2024 06:44

Frankreich, Italien, Österreich, Deutschland: Bei der Europawahl
können rechte Parteien Erfolge feiern. Ob die EU-Politik nun nach
rechts rückt, hängt nicht nur von der Sitzverteilung im Parlament ab.

Brüssel/Rom/Paris/Berlin (dpa) - Rechte Parteien haben bei der
Europawahl in mehreren Ländern große Erfolge erzielt. In Italien lag
die Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) der rechten
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am Sonntag klar vorn. In
Frankreich gewann die Partei Rassemblement National von Marine Le
Pen. Präsident Emmanuel Macron setzte daraufhin eine vorgezogene
Neuwahl der Nationalversammlung an.

In Österreich wurde die rechte FPÖ stärkste Kraft. In Deutschland
erzielte die AfD ihr bislang bestes Ergebnis und kam hinter der Union
auf Platz zwei. 

Europaweit gewannen die zwei bisherigen rechtspopulistischen
Parteienbündnisse EKR und ID teils deutlich hinzu. Insgesamt bleibt
das klar proeuropäische Lager im Europaparlament aber weiter das mit
Abstand größte. Selbst wenn sich alle rechten Parteien
zusammenschließen würden, kämen sie voraussichtlich auf weniger als
200 Sitze und wären damit von einer Mehrheit weit entfernt. Diese
liegt bei 361 Sitzen.

Sieger der Europawahl ist das Mitte-Rechts-Bündnis EVP mit der
deutschen Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen. Die CDU-Politikerin
kann auf eine zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission
hoffen.

Italien: Meloni setzt sich durch

Melonis Partei kam in Italien nach einer Hochrechnung des
Fernsehsenders Rai von Montagmorgen auf 28,9 Prozent - im Vergleich
zur Europawahl 2019 ein Plus von mehr als 20 Punkten. Auf Platz zwei
landete demnach ein linkes Bündnis um die sozialdemokratische PD mit
24,5 Prozent.

Meloni war bei der Wahl auch Spitzenkandidatin der Fratelli d'Italia,
die ihre Ursprünge in der postfaschistischen Bewegung haben. Sie will
aber nicht ins Europaparlament wechseln, sondern als
Ministerpräsidentin in Rom bleiben. Die 47-Jährige steht seit Oktober
2022 an der Spitze einer Koalition aus drei Rechtsparteien. Mit dem
jetzigen Ergebnis dürfte ihr Einfluss auf europäischer Ebene
zunehmen.

Deutschland: AfD stark - aber schwächer als noch Anfang des Jahres

In Deutschland war die Europawahl auch ein wichtiger Stimmungstest
vor den drei Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im
September und der Bundestagswahl im kommenden Jahr. Dass die AfD in
Ostdeutschland mit großem Vorsprung auf Platz eins liegt, ist da von
besonderer Bedeutung.

Trotz der Kontroversen um ihren Spitzenkandidaten konnte die Partei
bundesweit stark zulegen. Nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis von
Montagmorgen kommt sie auf 15,9 Prozent, ein Plus von fast fünf
Punkten gegenüber 2019. Sie schneidet damit besser ab als alle
Ampel-Parteien - die SPD kam auf 13,9 Prozent, die Grünen auf 11,9
Prozent und die FDP auf 5,2 Prozent. Mit großem Abstand auf Platz
eins liegt allerdings die Union mit 30,0 Prozent.

Das AfD-Ergebnis fiel schwächer aus als in Umfragen Anfang des
Jahres. Damals hatte sie zwischenzeitlich bei mehr als 20 Prozent
gelegen. Vorwürfe gegen ihren Spitzenkandidaten Maximilian Krah und
die Nummer zwei auf der Europawahl-Liste, Petr Bystron, brachten die
Partei aber in Schwierigkeiten.

Frankreich: Le Pens Rechtsnationale vorn

Für den französischen Präsidenten ist die Europawahl eine herbe
Niederlage. Die rechtsnationale Partei Rassemblement National (RN) um
Marine Le Pen holte nach Hochrechnungen an die 32 Prozent - mehr als
doppelt so viel wie Macrons Lager. Der Staatschef kündigte als
Konsequenz eine Neuwahl des Unterhauses an, die zwei Wahlgänge sind
für 30. Juni und 7. Juli geplant. «Ich kann also am Ende dieses Tages
nicht so tun, als ob nichts geschehen wäre», sagte er.

Macrons Mitte-Lager war bereits geschwächt. Seit 2022 hat es in der
Nationalversammlung keine absolute Mehrheit mehr. Das Regieren
gestaltete sich seitdem mühselig. Der Blick richtet sich zudem auf
die Präsidentenwahl in knapp drei Jahren. Macron, der sich zweimal in
der Stichwahl gegen Le Pen durchsetzte, darf nicht erneut
kandidieren. Noch ist unklar, wen die Mitte-Kräfte ins Rennen
schicken werden und wer eine Chance gegen Le Pen hätte. Die Tochter
des rechtsextremen Parteigründers Jean-Marie Le Pen hat es geschafft,
ein deutlich gemäßigteres Bild abzugeben und die Partei bis ins
bürgerliche Lager wählbar zu machen.

Österreich: FPÖ vor der Parlamentswahl im Herbst im Aufwind

In Österreich ist es das erste Mal, dass die Rechtspopulisten bei
einer landesweiten Wahl auf Platz eins liegen. Die FPÖ kommt laut
vorläufigem Ergebnis auf 25,5 Prozent der Stimmen. Die konservative
ÖVP erreicht 24,7 Prozent. Die sozialdemokratische SPÖ folgt mit 23,3
Prozent. 

Die FPÖ hatte im Wahlkampf unter dem Motto «EU-Wahnsinn stoppen»
vielfach ihre EU-Skepsis betont und die EU im Ukraine-Konflikt als
kriegstreibende Kraft dargestellt. Für Parteichef Herbert Kickl
scheint damit das Ziel, nächster Kanzler zu werden, näher zu rücken.

Im Herbst wird in Österreich ein neues Parlament gewählt.

Das europaweite Ergebnis: Mitte-Rechts vorn

Im leicht vergrößerten Europaparlament bleibt die EVP mit den
deutschen Parteien CDU und CSU nach einer europaweiten Hochrechnung
vom frühen Montagmorgen stärkste Kraft. Sie kann demnach 184 der 720
Sitze besetzen (zuletzt 176 von 705). 

Die rechtspopulistischen Parteienbündnisse EKR und ID kommen auf 73
(zuletzt 69) beziehungsweise 58 (zuletzt 49) Sitze. Nicht mitgezählt
sind dabei die AfD-Abgeordneten, weil die AfD kurz vor der Wahl aus
der ID-Fraktion ausgeschlossen worden war.

Zweitstärkstes Lager bleiben die Sozialdemokraten. Sie kommen auf 139
Mandate (zuletzt ebenfalls 139). Danach folgen die Liberalen, die auf
80 Sitze abrutschen (zuletzt 102). Ein großer Verlierer sind die
Grünen. Sie kommen nur noch auf 52 Sitze (zuletzt 71).

Was bedeutet das für die Europapolitik?

Grundsätzlich könnte es so sein, dass die Mehrheitsfindung im
Europäischen Parlament noch einmal schwieriger wird. Für die
künftigen Machtverhältnisse dort ist auch relevant, ob sich eventuell
Parteien aus den bisherigen rechten Bündnissen EKR und ID zu einer
neuen Allianz zusammentun. Die Französin Marine Le Pen hatte dafür
zuletzt bei der italienischen Regierungschefin Meloni geworben. 

Als wahrscheinlich gilt, dass das Mitte-Rechts-Bündnis EVP in den
nächsten Tagen Gespräche mit Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen
führen wird, um eine lose Zusammenarbeit zu vereinbaren, die dann
auch eine Mehrheit für die Wahl von der Leyens sichern könnte.
Theoretisch könnten auch noch Kooperationsmöglichkeiten mit einzelnen
rechten Parteien ausgelotet werden. So hat die EVP eine
Zusammenarbeit mit Meloni vor der Wahl nicht ausgeschlossen. Ihre
Fratelli d'Italia gehören bislang zur rechtskonservativen
EKR-Fraktion.

Ob die EU-Politik als Ganzes nach rechts rückt, hängt nicht nur von
den Mehrheiten im Parlament ab. Entscheidend sind dabei auch die
Kräfteverhältnisse im Rat der EU-Staaten. Eine wichtige Rolle dürfte

dabei der Ausgang der Präsidentschaftswahl 2027 in Frankreich
spielen.